Mirage: Roman (German Edition)
Mudiriyat al-Amn al-Amma gewesen – des Allgemeinen Nachrichtendienstes –, eines weiteren Arms von Saddams Geheimpolizei, der, soweit Mustafa erkennen konnte, zwar ein Stück unterhalb des Mukhabarat, aber immer noch weit über den normalen Streifenpolizisten rangierte.
Samir hatte sich nicht freiwillig als Spion angeboten. Ein der Akte beigefügter Bericht erklärte, was passiert war: Nachdem eine ungenannte Quelle ihn beschuldigt hatte, sich heimlich mit »subversiven Elementen« zu treffen, war Samir unter Beobachtung gestellt worden, und man war ihm auf mehreren nächtlichen Ausflügen gefolgt, um festzustellen, ob die fraglichen Subversiven Kurden, Türken, Iraner oder dissidente irakische Schiiten waren.
Wie die begleitenden Fotos mehr denn deutlich zeigten, war die Antwort nichts von alledem. Der Bericht schloss mit der Feststellung, dass zwar kein Landesverrat vorliege, die Zwangsrekrutierung Samirs und seiner Mit-»Subversiven« als Informanten für den al-Amn jedoch zu empfehlen sei. »Wir erwarten, dass sie sich, um die öffentliche Bloßstellung ihres Lasters zu vermeiden, als äußerst gefügig erweisen werden.«
Wir erwarten, dass sie sich als äußerst gefügig erweisen werden … Mustafa schaute über die Sitzlehnen zurück und betrachtete Samir, der sich wieder einmal unruhig im Schlaf wälzte. Mustafa überlegte, ob er ihn wecken sollte, ihn fragen, was er für Albträume hatte, und ihm auch weitere Fragen stellen. Dann sah er sich die Fotos noch einmal an und entschied, dass ein Flugzeug mitten über dem Atlantik kaum der richtige Ort war, um ein solches Thema anzuschneiden.
Das letzte und umfangreichste Konvolut in dem Paket war ein Bericht vom August 2001 mit dem Titel METHODEN UND ZIELSETZUNGEN VON AL-QAIDA. Er war von der CIA abgefasst und betraf Osama Bin Laden. David Koresh hatte an den Umschlag eine Haftnotiz mit folgendem Vermerk geklebt: »Nicht meine CIA! … Aber ein böser Fürst in einer Welt ist ein böser Fürst in jeder Welt.« Mustafa schlug die erste Seite auf und begann, sich Notizen zu machen.
Beim Auftankstopp auf den Azoren hatte die grell ausgeleuchtete Asphaltpiste die trostlose Ausstrahlung einer Tankstelle nach Mitternacht. Niemand stieg aus oder zu. Mustafa benutzte die Toilette in der Passagierkabine, dann ging er in den Frachtraum im Heck, um sich ein Bild vom Fortgang der Vernehmung zu machen. Er blieb am oberen Ende der Treppe stehen und lauschte, unsichtbar, der hohen, weinerlichen Stimme Donald Rumsfelds. Der Akzent des Mannes war praktisch unverständlich; der einzige Brocken, den Mustafa ausmachen konnte, war » majahil maruf « – »unbekannte Bekannte« –, was für ihn keinerlei Sinn ergab. Dann stellte Amal aber eine Anschlussfrage, und ihr selbstbewusster Ton machte deutlich, dass sie durchaus verstanden hatte. Da er spürte, dass eine Unterbrechung nur Probleme verursachen würde, kehrte Mustafa zu seinem Sitz zurück.
Als die Frachtmaschine wieder auf die Startbahn rollte, öffnete er seine Brieftasche und holte den 250-Dinar-Schein heraus. Er musterte Saddams lächelndes Gesicht, und vor seinem geistigen Auge erschien eine verstöpselte Messingflasche.
Unbekannte Bekannte, dachte Mustafa.
Die Sonne erschien wieder, als die Frachtmaschine sich der Küste Nordafrikas näherte. Mustafa döste noch, aber das rosige Licht, das von der Sitzlehne vor ihm zurückgeworfen wurde, drang in seinen Schlaf ein.
Im Traum durchquerte er die Sahara zu Fuß. Er war lange über eine See von Dünen gewandert, aber jetzt endete die See, wich einer steinigen Ebene, die mit Explosionskratern übernarbt war. Ohne dass es ihm jemand sagte, wusste er, dass diese Stätte Yarbu war, das Testgelände, auf dem die erste Atombombe gezündet worden war und wo das Militär, über die Fünfziger- und weit in die Sechzigerjahre hinein, immer größere und leistungsfähigere Sprengsätze erprobt hatte. In einem entlegenen Teil Südalgeriens gelegen, war Yarbu nach den hüpfenden Wüstennagern benannt worden, die laut damaliger staatlicher Propaganda die einzigen Lebewesen waren, die durch die Bombentests gefährdet wurden. Natürlich war das eine Lüge gewesen: In dem vom radioaktiven Niederschlag betroffenen Gebiet hatten sich auch nomadische Berberstämme befunden, ebenso eine Anzahl ehemaliger französischer Soldaten, die nach dem Krieg im Maghreb geblieben waren.
Mustafa ging zum aufgeworfenen Rand eines der Bombenkrater und sah hinunter. Er war überraschend tief, so
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