Mirage: Roman (German Edition)
randvoll von Tränen. Er beugte sich vor, als könnte er gleich auch Amal umarmen, riss sich dann aber zusammen. »Danke.«
Amal bedachte ihn mit einem vieldeutigen Lächeln. »Das machen wir beim Heimatschutz eben so«, sagte sie. Sie senkte den Blick und fügte hinzu: »Tut mir leid wegen des Beins.«
»Was denn, dafür können Sie doch nichts«, sagte Salim, in der Annahme, das eben habe ihm gegolten. »Außerdem bin ich in null Komma nichts wieder fit. Kommen Sie mich in einem Monat besuchen, und ich hänge Sie auf jeder Distanz ab!«
Amal sagte: »Sie sollten jetzt heimfahren, zu Ihrer Mutter.«
»Ja«, sagte Anwar nickend. »Sie wartet auf uns.« Er sah Salim an. »Wir müssen uns über einiges unterhalten.«
»Ich weiß«, sagte Salim. Aber dann lächelte er und reichte Amal einen Zettel. »Da steht meine E-Post-Adresse drauf. Schreiben Sie mir!«
»Passen Sie nur auf sich auf, und machen Sie Ihren Eltern keinen Kummer«, entgegnete Amal. Sie trat einen Schritt zurück, und Anwar stellte sich hinter den Rollstuhl und schob ihn zum Krankenwagen. Er und der Fahrer halfen Salim hinein. Anwar winkte Amal feierlich zu und stieg zu seinem Sohn in den Wagen.
»Der Junge ist seinem Großvater unheimlich ähnlich«, sagte Mustafa, der zusammen mit Amal dem Krankenwagen nachsah – und blinzelte dann, da ihm der Gedanke nur so herausgerutscht war.
Amal verzog keine Miene. »Ja, wirklich«, sagte sie. Sie sah den Zettel in ihrer Hand an und öffnete dann die Finger. Ein Aufwind erfasste das Stück Papier und trug es fort in den Himmel.
Stiefel trampelten auf der Laderampe der Frachtmaschine. Ein Flieger sprang hinunter auf den Asphalt und sprach in ein Funkgerät: »Alles klar.« Ein Trupp Militärpolizisten brachte den Gefangenen aus dem Frachtraum. Er hatte einen Sack über dem Kopf, war gefesselt und trug noch immer den Bademantel, in dem er festgenommen worden war.
Wabernde schwarze Formen wie Erdölflecken tauchten im Hitzeschleier auf. Auch sie verdichteten sich zu Fahrzeugen: eine Kolonne von schwarzen Geländelimousinen. Anders als die blitzblanke Ambulanz waren sie mit Staub bedeckt, als hätten sie eine lange Fahrt durch die Wüste hinter sich; anstatt das Sonnenlicht zu reflektieren, saugten sie es förmlich in sich auf.
Da er Augen über seiner Schulter spürte, drehte sich Mustafa um und schaute auf zur Maschine. Er sah Samir, das Gesicht von einem Fenster der Passagierkabine umrahmt, nervös den näher kommenden Fahrzeugen entgegenstarren. Als Samir Mustafa bemerkte, der zu ihm aufsah, zerfiel seinGesicht zu einer Maske der Scham, und er verschwand vom Fenster.
Die Geländelimousinen fuhren vor der Frachtmaschine vor. Aus dem Führungswagen stieg Idris Abd al-Qahhar; die übrigen Fahrzeuge spien bärtige Mujahidin aus, die, von ihren dunklen Anzügen abgesehen, gerade einem Schlachtfeld in Afghanistan hätten entstiegen sein können.
»Mustafa al-Bagdadi«, sagte Idris. »Sie haben etwas, das mir gehört.«
»Sie irren sich«, sagte Mustafa und trat einen Schritt vor, um sich zwischen Idris’ Männer und den Gefangenen zu stellen.
»Ah, ich fürchte, es hat eine Planänderung gegeben.« Idris zückte ein zusammengefaltetes Blatt Briefpapier und präsentierte es mit einer schwungvollen Bewegung. »Der Präsident hat im Einvernehmen mit Senator Bin Laden und mehreren anderen Mitgliedern des Geheimdienstausschusses beschlossen, diesen Gefangenen mit höchster Geheimhaltungsstufe zu versehen. Wir verlegen ihn umgehend nach Chwaka.«
Mustafa überflog das Dokument, das Siegel und Unterschrift des Präsidenten trug. »Das ist nicht richtig.«
»Sie können die Angelegenheit gern mit dem Präsidenten besprechen«, sagte Idris. »Aber soweit ich weiß, ist sein Terminkalender heute ziemlich voll, es kann also eine Weile dauern, bis Sie ihn erreichen. In der Zwischenzeit …«
Er gab seinen Männern ein Signal. Ein Vierertrupp ging auf den Gefangenen zu. »Warten Sie!«, rief Mustafa. Er wandte sich zu den Militärpolizisten. »Halten Sie diese Männer auf!«
Aber ehe sie etwas unternehmen konnten, stieg ein Mann in der Uniform eines Obersts des Heeres aus Idris’ Wagen aus. »Wegtreten«, sagte er zu den MPs. »Mischen Sie sich nicht ein!«
Der Gefangene schien in der Zwischenzeit in der Hitzeverwelkt zu sein. Als die Mujahidin ihn ergriffen, war er völlig erschlafft. Sie zerrten ihn grob hoch und begannen, ihn wegzuschleppen, sodass seine nackten Füße über den rauen Asphalt
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