Mirage: Roman (German Edition)
Vielleicht verdiene ich’s gar nicht anders.« Seitdem war er zurückgenommen und wortkarg gewesen, hatte während des ganzen Helikopterflugs zum Luftwaffenstützpunkt den Kopf hängen lassen und den gleichen Gesichtsausdruckwie während des Aufenthalts in der Roten Zone gehabt: die Miene eines Verurteilten.
Als es so dunkel wurde, dass er draußen nichts mehr sehen konnte, stand Mustafa auf und holte das neue Lesepaket heraus, das David Koresh ihm mitgegeben hatte. Es enthielt drei Artefakte, Nachrichten von jenseits der Fata Morgana.
Inventarnummer eins war eine Akte aus den Archiven des Jihaz al-Mukhabarat al-Amma – der Generaldirektion der Nachrichtendienste der Republik Irak – über einen Beamten der irakischen Staatspolizei namens Mustafa al-Bagdadi. Mustafa hatte sie schon mehrmals durchgelesen, aber jetzt schlug er sie wieder auf und sichtete noch einmal die Details seines anderen Lebens: eines Lebens, das in seinen Hauptzügen erkennbar, doch von ganz andersgearteten Zwängen gehemmt und geformt worden war.
Wie in dieser Welt war er ein Bulle gewesen, der versuchte, Gutes zu tun. Aber »Gutes« wurde in Saddams Republik mehr durch Loyalität und Servilität gegenüber der Baath-Partei definiert als durch normale Wertmaßstäbe. Nach einem vielverheißenden Anfang – Jahrgangsbester auf der Bagdader Polizeiakademie – war es rasch bergab gegangen. Er wurde wiederholt verwarnt: wegen Laschheit im Umgang mit Verdächtigen, dem Gespräch anstatt direkteren Methoden, um Geständnisse zu erzielen, und wegen seiner Weigerung, gegen Personen zu ermitteln, die er für unschuldig hielt. Dann – und das hätte eigentlich das Ende seiner Beamtenlaufbahn bedeuten müssen – hatte er versucht, einen Parteifunktionär wegen des Mordes an einem jungen Mädchen dranzukriegen. Mit dem Erfolg, dass er selbst festgenommen und mehrere Monate lang in Abu Ghraib festgehalten worden war. Nach seiner Freilassung hatte er sich wieder an den Funktionär gehängt und diesmal Beweise nicht für Mord, sondern für Verschwörung gegen die Regierung gefunden – ein weit schwereres Verbrechen. DerFunktionär war vom Mukhabarat verhaftet worden; Mustafa hatte eine persönliche Belobigung von Onkel Saddam erhalten, war wieder in seinen ursprünglichen Polizeirang eingesetzt worden und hatte den ernsten Rat erhalten, sich künftig in Acht zu nehmen. Aber die Verwarnungen und Reibereien mit der Partei hörten nicht auf.
Die Personalunterlagen endeten mit dem Jahr 2002 , aber an die Aktenmappe geheftet fand sich noch eine auf Briefpapier der United States Army geschriebene Aktennotiz vom 9. Juli 2003. Darin ersuchte ein Captain Edward Lawrence um Sicherheitsfreigabe für Mustafa al-Bagdadi als Felddolmetscher und wies in diesem Zusammenhang auf Mustafas ausgezeichnete Sprachkenntnisse und »offensichtliche anti-baathistische Gesinnung« hin. Das Schreiben sagte nichts von Schatzsuchen in der Wüste, aber in Anbetracht dessen, wie nah Hilla an Bagdad lag, war es nicht schwer, sich vorzustellen, dass sich Captain Lawrence und sein Dolmetscher, nach Jahren des Staatsaufbaus vielleicht rastlos geworden, eines Tages zu einer außerdienstlichen Spritztour entschlossen hatten. Mustafa hatte außerdem eine Ahnung – Koresh hatte das ja erwähnt –, dass er, wenn er das Artefakt in seiner Nähe behielt, vielleicht anfangen würde, sich an Details zu erinnern. Er wusste selbst nicht genau, ob er das wirklich wollte.
Der Abschnitt der Akte, der die Überschrift FAMILIE trug, verzeichnete nur eine Ehefrau, Fadwa bint Harith. Mustafa fand das nicht weiter verwunderlich – er ahnte irgendwie, dass sich in Saddams Irak die Börsengänge von Internetzfirmen in Grenzen hielten, weswegen sich ein ehrlicher Bulle wahrscheinlich nicht mehr als eine Frau leisten konnte. Was er nicht wusste, war, ob ihn dies zu einem verständnisvolleren und liebenderen oder im Gegenteil zu einem verbitterteren Ehemann gemacht hatte. Er wünschte, er hätte Ersteres annehmen können.
Koreshs Paket enthielt auch eine Mukhabarat-Akte überSamir Nadim, einen weiteren Bagdader Bullen, der im selben Revier wie Mustafa arbeitete. Samirs Polizeilaufbahn war zwar weniger steinig als die von Mustafa gewesen, trotzdem hatte es den Anschein, als hätte ihre Freundschaft ihn bei mehr als nur einer Gelegenheit in Schwierigkeiten gebracht.
Wie Mustafa hatte er eine zweite Laufbahn eingeschlagen, allerdings nicht bei der US-Army. Von 1997 bis Ende 2002 war Samir Informant des
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