Mirage: Roman (German Edition)
Zimmer. Er schärfte ihm ein,das BITTE-NICHT-STÖREN-Schild an der Türklinke und den Rollladen unten zu lassen. »Geh nicht aus dem Zimmer. Ruf niemanden an, nicht mal den Etagendienst. Ich komme später mit Essen und frischen Sachen wieder.«
Joe Simeon kroch ins Bett – das weit bequemer war als das im Motel – und sank in einen tiefen Schlaf. Als er die Augen wieder aufschlug, schob Siraj ad-Din gerade einen mit abgedeckten Platten beladenen Servierwagen ins Zimmer. »Wie spät ist es?«
»Gegen acht Uhr Abend. Komm, iss was.«
Nach der Mahlzeit nahm er die Tüte mit Kleidungsstücken, die Siraj ad-Din für ihn mitgebracht hatte, und ging ins Badezimmer. Als er zurückkehrte, war der Servierwagen verschwunden, und auf dem Bett lagen eine Hemdschachtel und ein Stadtplan. »Was ist das?«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf die Hemdschachtel.
»Zuerst muss ich dich fragen: Bist du bereit, das zu tun, weswegen du hierhergekommen bist?«
Joe Simeon hatte genau diese Frage eben erst in seinem Herzen bewegt. Die Antwort war nur zu einfach. Von Rechts wegen hätte er inzwischen in Haft oder tot sein müssen. Dass er das nicht war, bewies für ihn hinlänglich, was Gott von ihm erwartete: Er sollte weitermachen. Er würde tun, was ihm befohlen wurde, und dann würde er in den Himmel kommen. »Ich bin bereit.«
»Gut«, sagte Siraj ad-Din und nahm den Stadtplan in die Hand. »Dein Zielobjekt ist die NullPunkt-Moschee. Die Stadt steht kurz davor, das Projekt in Angriff zu nehmen, und morgen Nachmittag findet auf dem Bauplatz eine Kundgebung statt. Es werden große Menschenmengen erwartet, und viele Politiker. Und strenge Sicherheitsvorkehrungen – aber ich zeige dir einen Weg, wie du den äußeren Ring von Absperrungen und Polizisten umgehen kannst. Ab dann liegt es in deiner Hand.«
»Nein«, sagte Joe. »Ab dann liegt es in Gottes Hand.«
Mustafa verbrachte die Nacht im Karkh-Krankenhaus, schlafend am Bett seines Vaters.
Am Morgen war Abu Mustafa zu einem Spaziergang aus dem Haus gegangen und nicht wieder zurückgekommen. Mustafa hatte seinen Tag in verstohlene Nickerchen und erfolglose Versuche, einen offiziellen Bericht über sein Treffen mit David Koresh abzufassen, eingeteilt. Als es später Nachmittag wurde und sein Vater immer noch nicht heimgekehrt war, begann er, sich Sorgen zu machen. Er stand schon kurz davor, Onkel Tamir und die Vettern zu einer Suchaktion zu animieren, als er einen Anruf von der Buniya-Moschee erhielt.
Es war für ihn nicht der erste Anruf dieser Art. Wenn sein Vater sich verlief, landete er häufig in Gotteshäusern – gehörten Bagdads heilige Stätten schließlich, wie er meinte, zu den wenigen Dingen, die sich in der Stadt nicht verändert hatten. Aber al-Buniya lag in Karkh, auf der anderen Seite des Flusses – ein langer Marsch für einen alten Mann. »Geht’s ihm gut?«
»Leider nein«, sagte der Anrufer. »Er war dehydriert und hatte Probleme mit dem Herzen. Wir mussten einen Rettungswagen rufen.«
Mustafa fuhr mit seiner Tante und seinem Onkel ins Krankenhaus. Als sie dort eintrafen, hatte Abu Mustafa bereits auf Infusionen angesprochen und saß, mit betretener Miene, aufrecht im Bett. »Ich bin in einen Bus eingestiegen«, gestand er.
Mustafa begriff augenblicklich. Abu Mustafa behandelte einen Großteil der Massenverkehrsmittel Bagdads, insbesondere die Untergrundbahn, als inexistent; Busse nahm er zur Kenntnis, beanspruchte sie aber selten, da sie fast nie dort entlangfuhren, wo sie seiner Meinung nach sollten. Heute allerdings hatte er irgendwann gemerkt, dass er die Abu-Nuwas-Straße ein Stück zu weit gegangen war, und versucht, mit dem Bus zurückzufahren – nur um festzustellen,dass er eine Expresslinie erwischt hatte, deren nächste Haltestelle erst jenseits des Tigris lag. Er war eine Zeitlang sitzen geblieben in der Hoffnung, dass der Bus zu guter Letzt umkehren würde, aber die zunehmende Fremdheit der Umgebung hatte ihn schier erdrückt, bis er in der Ferne al-Buniya ausgemacht und beschlossen hatte, die Moschee zu Fuß zu erreichen.
»Ich verstehe nicht«, sagte Tante Rana. »Warum hast du nicht einfach ein Taxi genommen?«
»Weil ich durcheinander war!«
Der Arzt wollte Abu Mustafa über Nacht im Krankenhaus behalten. Abu Mustafa war darüber nicht begeistert, war aber zu müde, um zu diskutieren, also bat Mustafa darum, dass ein zweites Bett ins Zimmer gestellt wurde. Als das endlich erledigt war, schlief Abu Mustafa schon halb, aber Mustafa
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