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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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dick aus?
    Tat er nicht. Er hatte eine andere Sprengstoffweste gesehen, die ein Kreuzzügler in Bonn getragen hatte, um eine Busladung Israelis in die Luft zu jagen, und die war erheblich voluminöser gewesen, selbst unter einem Winterparka schwer zu verbergen. Diese hier, dachte er, konnte vielleicht sogar dem Blick eines ausgebildeten Beobachters entgehen, und es müsste für ihn möglich sein, sich damit in einer Menge von Zivilisten bewegen zu können, ohne Argwohn zu erwecken. Das Schwierigste würde noch sein, sich in der Mittagshitze nicht totzuschwitzen.
    Es war zehn. Er hatte noch ein paar Stunden zu warten, also zog er sich wieder aus, legte die Weste sorgfältig in ihre Schachtel zurück und setzte sich in Unterwäsche auf das Bett. Er war aufgedreht und fühlte sich taumelig, als hätte seine Seele bereits angefangen, sich von seinem Körper abzukoppeln. Er griff nach der Fernbedienung des TV und schaltete sich manisch durch die Kanäle, außerstande, sich zu konzentrieren.
    Das Bild eines Kreuzes erregte kurz seine Aufmerksamkeit. Es war die Übertragung eines koptischen Gottesdienstes, ein ägyptischer Priester las aus dem Evangelium. Nichtuntertitelt, waren die Worte in Joe Simeons Ohren bloßes Gelalle. Er wechselte wieder den Sender und betete zu Gott, er möge die Stunde seines Todes schneller kommen lassen.
    Samir wartete in der Teestube nahe der israelischen Botschaft. Er hatte einen dunklen Bluterguss an der Wange und eine geplatzte Lippe, die gerade erst angefangen hatte abzuschwellen.
    »Samir, was ist mit dir passiert?«, sagte Mustafa, als er ihn sah.
    »Najats Vater«, erklärte ihm Samir. Er tupfte mit der Fingerspitze auf seine Lippe und sah nach, ob Blut daran war. »Ich bin gestern nach Basra gefahren, um Najat zu sagen, dass sie die Jungs an einen sicheren Ort bringen soll. Eine Faust ins Gesicht zu bekommen war nicht Teil des Plans, aber anscheinend trug es dazu bei, dass sie mich ernst nahm.«
    Mustafa zog einen Stuhl herbei und setzte sich. »Idris hat deine Kinder bedroht?«
    »Unter anderem.«
    »Warum hast du nichts gesagt? Wir hätten …«
    Samir explodierte. »Warum ich nichts gesagt habe? Du meinst so was wie: ›Mustafa, ich glaube, es ist wirklich eine blöde Idee, dem Chef von al-Qaida ans Bein zu pissen‹? So was in der Art?«
    »Tut mir leid«, sagte Mustafa. »Du hast recht, ich bin ein Idiot.«
    »Ja, zu dem Schluss war ich auch gekommen«, sagte Samir. Dann verpuffte seine Wut, und er zuckte die Achseln. »Was soll’s, es ändert sowieso nichts. Dieser Hurensohn hat mich seit der Grundschule auf dem Kieker. Selbst wenn ich aus dieser Ermittlung ausgestiegen wäre – selbst wenn ich dich dazu überredet hätte auszusteigen –, hätte er immer noch einen Grund gefunden, um mein Leben zu zerstören.«
    Mustafa deutete mit dem Kopf auf den Koffer, der auf dem Stuhl rechts von Samir stand. »Ist das noch von deiner Fahrt nach Basra, oder willst du irgendwohin?«
    »Ich halte meine Optionen offen«, sagte Samir. »Als ich heute Morgen nach Hause gekommen bin, habe ich gemerkt, dass jemand in meiner Wohnung gewesen war. Ich wollte mir eine Kleinigkeit zu essen machen und habe einen Daumenabdruck auf der Kühlschranktür bemerkt. Da ist mir der Appetit vergangen … Also habe ich ein paar Sachen gepackt und bin los.«
    »Wo willst du jetzt hin? Dorthin, wo Najat hinfährt?«
    »Nein, ich weiß nicht, wo sie hinwill. Ist besser so. Ich rechne nicht damit, sie je wiederzusehen.« Seine Stimme bekam einen Sprung. »Oder Malik und Jibril … Ich hatte gedacht, ich könnte vielleicht nach Griechenland.«
    »Was gibt’s in Griechenland?«
    »Eine Chance, die zu ergreifen ich zu feige war.« Er lächelte traurig. »Genaugenommen bin ich immer noch zu feige. Es wird damit enden, dass ich mich ein paar Tage lang in Bagdad herumdrücke, bis Idris mich erwischt. Dann bin ich meine Probleme los.« Er seufzte. »Mustafa, ich muss dir etwas erzählen …«
    »Vorher«, sagte Mustafa, »muss ich dich etwas fragen.«
    »Schieß los.«
    »Bist du noch mein Freund?«
    »Kein besonders guter vermutlich.«
    »Dasselbe könnte man von mir sagen, so hirnlos wie ich mich verhalten habe«, gab Mustafa zu bedenken. »Und außerdem hast du mich davor gerettet, von diesem Minuteman abgefackelt zu werden.«
    Samir schüttelte den Kopf. »Das zählt nicht. Dem Plan nach hätten du und ich da schon längst tot sein sollen, und jeder andere in der Kolonne ebenso.«
    »Aber wir sind nicht gestorben.

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