Mirage: Roman (German Edition)
Gott gab uns eine weitere Chance – und du hast deine gut genutzt. Jetzt möchte ich dasGleiche tun. Sag mir, dass du mein Freund bist und ich dir vertrauen kann, und was immer in Amerika passiert ist – wozu immer Idris dich gezwungen hat –, ist erledigt. Vergessen.«
»Einfach so, hm?« Samir lachte bellend, aber dann schnürte sich ihm wieder die Kehle zu, und er fing an zu weinen. Seine Schultern zitterten vor lauter Schluchzern, mit denen sich all die Angst und Scham, die auf ihm gelastet hatten, zu einem Sturzbach auflösten. Mustafa nahm seine Hand und hielt sie fest.
»Kacke, Mann«, sagte Samir, als sich das Gewitter verzogen hatte. Er wischte sich Wasser aus den Augen, zuckte zusammen, als sein Handballen gegen die Prellung drückte. »Du weißt doch, dass Gott uns keine wirkliche zweite Chance gegeben hat, oder? Nur einen kleinen Aufschub. Idris wird uns beide töten, Amal wahrscheinlich auch.«
»Wenn Gott es will, kann es geschehen«, räumte Mustafa ein. »Aber ich ziehe es vor, optimistisch zu sein.«
»Was sagten wir vorhin noch mal? Du wärst ein Idiot?«
»Ja«, sagte Mustafa lächelnd. »Dein idiotischer Freund.«
Sie lachten beide, als Amal ein paar Minuten später die Teestube betrat. Sie kam langsam an den Tisch und fragte Mustafa: »Brauchst du mehr Zeit?«
»Nein.« Er drückte Samirs Hand ein letztes Mal. »Wir haben uns ausgesprochen.«
»Gut.« Amal nickte Samir zu, dessen Bluterguss sie zwar bemerkte, aber nicht kommentierte. Sie setzte sich. »Draußen scheint die Luft rein zu sein. Oder zumindest stellt sich al-Qaida, falls sie uns beschatten lässt, geschickt an.«
»Auch was das angeht, werden wir auf Gott vertrauen müssen«, sagte Mustafa. »Aber apropos al-Qaida: Erzähl doch Samir, was du mir erzählt hast, über Osama bin Laden.«
Das Mittagsgebet hatte gerade geendet, und Männer und Frauen kamen aus einer Moschee am Zawra-Park und tauschten den Friedenssegen, bevor sie zum Mittagessenoder zurück an ihre Arbeit gingen. Joe Simeon beobachtete sie vom Fond eines klimatisierten Taxis aus. Er wischte die beschlagene Scheibe seines Fensters ab, um klarer sehen zu können, starrte auf die Eingangstür der Moschee und fragte sich, wie sie von innen aussehen mochte. Ob sie wohl Buntglasfenster hatte, wie eine richtige Kirche?
Der Taxifahrer missdeutete die Natur seines Interesses. »Du bist Muslim?«
»Was?«, sagte Joe Simeon. »Nein. Ich bin Christ.« Und damit keine Missverständnisse aufkamen: »Ich habe eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus.«
»Christ, hab ich mir gedacht«, sagte der Fahrer nickend. »Amerikaner?«
»Ursprünglich.«
»›Ursprünglich‹«, wiederholte der Fahrer langsam das Wort, das in seinem Wortschatz nicht vorkam. »Das ist deine Heimatstadt, Ursprünglich?«
»Ja«, sagte Joe Simeon. »Ursprünglich, New York. Ist direkt außerhalb von Manhattan.«
»Von Manhattan hab ich gehört.« Der Taxifahrer nickte wieder. »Weißt du, die Muslime von Bagdad, also wir beten für die Christen von Amerika, von Manhattan. Jetzt, wo der Krieg vorbei ist, haben wir sehr große Hoffnungen für euch. Dass ihr – wie sagt man? – zivilisiert werdet!«
»So wie die Araber, meinen Sie.« Die Miene des Kreuzzüglers verdüsterte sich. »Sie glauben wirklich, dass wir wie Sie werden?«
»Mit Gottes Segen ist selbst das größte Wunder eine Kleinigkeit«, sagte der Taxifahrer leutselig. »Du wirst sehen, mein Bruder!«
Als sie sich dem NullPunkt näherten, begann sich der Verkehr zu stauen. Während Joe Simeon ihre Route auf dem Stadtplan nachverfolgte, schaltete der Fahrer das Radio ein, und es ertönte ein gutturales Gegacker, das offenbar einen arabischen Wetterbericht darstellte. »Shamal«, sagte er.
»Was?«
»Sandsturm.«
Joe Simeon wischte seine Fensterscheibe wieder ab. Der Himmel über ihnen war blau und klar.
Der Taxifahrer schmunzelte. »Noch nicht. Aber kommt.«
»Wann?« Ein Sandsturm konnte, wenn er auch nur entfernt so wie im Kino war, das Ende der Kundgebung bedeuten und den ganzen Plan vermasseln. Andererseits wäre er, wie der Innenraum einer Moschee, ein interessanter Anblick gewesen.
»Ein paar Stunden«, sagte der Taxifahrer.
Er würde ihn also verpassen. Andererseits vielleicht auch nicht – vielleicht würde er dann, wenn er kam, schon von oben herabschauen. »Okay«, sagte Joe Simeon. »Lassen Sie mich an der nächsten Ecke raus, hier.«
»Bist du sicher? Ich kann dich näher hinbringen.«
»Nein, schon in
Weitere Kostenlose Bücher