Mirage: Roman (German Edition)
Ordnung, von hier aus laufe ich. Ich möchte nicht zu spät ankommen.«
»Laut Donald Rumsfeld«, sagte Amal, »ist al-Qaida in der realen Welt eine terroristische Organisation, und Osama bin Laden ist für die Anschläge vom 11. September verantwortlich.«
»Das ist es also, was Bin Laden die ganze Zeit zu vertuschen versucht?«, sagte Samir. »Die Amerikaner glauben, er habe ihnen das Gleiche angetan, was sie uns angetan haben?«
»Ich schätze, das hätte wohl eine gewisse politische Brisanz, wenn man wen auch immer in Arabien dazu bringen könnte, das zu glauben.« Amal lächelte. »Stellt euch die Wählerbefragungen vor: ›Wären Sie mehr oder weniger dazu geneigt, für Senator Bin Laden zu stimmen, wenn Sie wüssten, dass er einen bösen Zwilling hat?«
»Kein Zwilling«, sagte Mustafa. »Derselbe Mann mit einer unterschiedlichen Geschichte. Oder derselben, aber unterschiedlich erinnerten Geschichte.«
»Aber wäre das wirklich so brisant?«, fragte Samir. »Nehmen wir an, er hat in irgendeiner anderen Wirklichkeit einen Haufen Amerikaner getötet. Na und? In dieser Wirklichkeit – der einzigen Wirklichkeit, die die meisten Leute hierzulande interessiert – haben die Christen uns angegriffen.«
»Das ist die offizielle Version«, sagte Mustafa. »Und wenn man den Blutdurst mancher Christen bedenkt, könnte sie durchaus stimmen. Aber erinnere dich an das entscheidende Element der Fata-Morgana-Legende: Amerika ist die wirkliche Supermacht, während die einzelnen arabischen Staaten genau das sind – unabhängige Einzelstaaten. Schwache. Wenn ein schwaches Land in einen Kampf gegen eine Supermacht hineingezogen wird, was passiert dann mit ihm?«
Samir zuckte die Achseln. »Es bekommt eins in die Fresse.«
Mustafa sah Amal an. »Was sagte Rumsfeld, wie Amerika auf diesen 11.9. reagierte?«
»Es ist im Irak einmarschiert«, sagte sie. »Seine Geschichte darüber, was der Familie Hussein passierte, war herzerwärmend, aber als ich ihn fragte, wie sich der Krieg auf uns andere ausgewirkt hat, tat er so, als verstünde er die Frage nicht.«
»Moment mal«, sagte Samir. »Du willst also damit sagen, dass Osama bin Laden in Rumsfelds alternativer Wirklichkeit Iraker ist?«
»Nein, er ist auch da aus Jidda«, sagte Amal. »Ein ›Saudi‹-Araber.«
»Aber warum zum Teufel ist Amerika dann in den Irak einmarschiert?«
»Weil Gott einem Texaner die Macht gegeben hat«, sagte Mustafa. »Ich sehe die Sache so: Ein Terrorist, der im Namen des Islam eine christliche Supermacht angreift, nimmt billigend in Kauf, dass seine muslimischen Glaubensgenossen deswegen abgeschlachtet werden, denn so reagieren Supermächte nun einmal, wenn sie sich angemacht fühlen. Was die Frage aufwirft: Wenn ein Mann in einer Version der Wirklichkeit bereit ist, indirekt Tausende unschuldiger Muslime zu ermorden, ist es dann nicht plausibel, dass er in einer anderen Version bereit sein könnte, dieselbe Sünde auf direkterem Wege zu begehen?«
»Wir sollen jetzt also Wahrheiter werden?«, sagte Amal. »Du meinst, Osama bin Laden ist auch für die Anschläge vom 9.11. verantwortlich?«
»Darauf will ich hinaus.«
»Aber die Flugzeugentführer vom 9. November waren Christen. Das ist belegt – egal, was die Verschwörungstheoretiker dazu sagen. Und al-Qaida nimmt nicht mal Schiiten auf, also wie könnten …«
»O Gott«, sagte Samir.
Amal sah ihn an. »Was?«
»Es gibt Christen bei al-Qaida. Oder zumindest Leute, die vorgeben, Christen zu sein …«
»Wovon redest du?«
»Der Überfall auf unsere Kolonne in Fairfax County«, erklärte Mustafa. »Dahinter steckte al-Qaida.«
»Nein, das war Rumsfelds Miliz. Ich sagte dir doch, er hat es zugegeben. Und Rumsfeld war nicht Osama bin Ladens Verbündeter.«
»Was ihn nicht daran hinderte, Osama bin Ladens Marionette zu sein. Wenn überhaupt, dürften es seine Angst vor und sein Hass auf al-Qaida nur leichter gemacht haben, ihn zu manipulieren.«
»Aber zu welchem Zweck?«, sagte Amal. »Warum sollte Osama bin Laden zwischen Arabien und Amerika, oder zwischen Islam und Christentum, einen Krieg anzetteln wollen? Was sollte er sich davon versprechen?«
»Ich glaube«, sagte Mustafa, »dass er gern die Uhr zurückdrehen würde. Die Moderne und die Republik zunichtemachen und ein neues Kalifat einläuten.« Er holte den CIA-Bericht hervor, den David Koresh ihm überlassen hatte, und legte ihn auf den Tisch. Dann fuhr er fort: »Stell dir vor, du seist Osama bin Laden. Ein Sohn aus
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