Mirage: Roman (German Edition)
diese Rechte, so wie ich Sie Ihnen erklärt habe?«
Der Name dieser »Warnung« oder Aufklärung leitet sich ab aus dem 1966 vor dem Obersten Bundesgericht verhandelten Fall Miranda gegen den Staat Marokko . Der Fall betraf Arturo Miranda , einen spa n ischen Katholiken , der in Marrakesch wegen der Entführung und Vergewaltigung einer jungen Berber frau verhaftet wurde. Miranda gestand gegenüber der Polizei seine Tat, kam vor Gericht und wurde verurteilt. In der Berufungsverhandlung argumentierte sein Anwalt damit, dass Miranda als Ausländer , der kein Arabisch sprach, von seinem von der VAS-Verfassung garantierten Aussageverweigerungsrecht nichts gewusst habe, weswegen sein Geständnis nicht berücksichtigt werden dürfe. Das Oberste Bundesgericht schloss sich in einer Grundsatzentscheidung mit 5 zu 4 Stimmen der Auffassung der Verteidigung an.
Die Vollzugsbehörden reagierten zunächst negativ auf das Gesetz, manche Polizeibeamten und Staatsanwälte sagten sogar einen totalen Zusammenbruch des Strafjustizsystems voraus.
Wenngleich die Weisheit der Regelung nach wie vor umstritten ist, konnte die 1976 von der Arabischen Bürgerrechtsunion durchgeführte Studie Zehn Jahre Miranda keinen signifikanten Rückgang der Anzahl von der Polizei erzielter Geständnisse feststellen. Was laut dem Bericht zurückging, war der Prozentsatz der in der Berufung aufgehobenen Verurteilungen, was zum Teil auf die Verwendung unterschriebener Miranda-Verzichtserklärungen zurückgeführt wurde, die die Bereitschaft der Verdächtigen belegte, sich vernehmen zu lassen.
D ie Bagdader Zentrale des Arabischen Heimatschutzministeriums hatte ihren Sitz in einem achtstöckigen Gebäude in Rufweite des NullPunkts. Das Gebäude, das vormals dem Versicherer der Zwillingstürme gehört hatte, war nach 2001 einer umfangreichen Renovierung unterzogen worden. Ein Teil des Umbaus war die Hinzufügung einer hochmodernen »Befragungs-Suite« gewesen: drei Vernehmungszimmer, die um einen zentralen Beobachtungsraum angeordnet waren.
Im Prinzip wären diese Vernehmungsräume jedem vertraut vorgekommen, der je eine TV-Krimiserie gesehen hatte. Allerdings verfügten sie über eine Millionen teure technische Ausstattung. Der größte Teil des Geldes war in besondere Sensoren investiert worden, die jeden Raum zu einem begehbaren Polygrafen machten. Zusätzlich zu dieser Lügendetektor-Ausrüstung war jedes Zimmer mit zahlreichen Kameras und Mikrofonen ausgerüstet; dabei handelte es sich angeblich um eine interne Überwachungsanlage, doch Mustafa hatte schon seit Längerem den Verdacht, dass es auch eine geheime externe Leitung gab, die den hohen Tieren in Riad gestattete, die Vernehmungen mitzuverfolgen.
Andere Merkmale der Vernehmungsräume hätten einem Menschenrechtler mehr als zu denken gegeben. Die Regler der Klimaanlage ließen sich auf Temperaturen einstellen, die außerhalb des normalen menschlichen Komfortbereichs lagen. Verschließbare Belüftungsöffnungen gestatteten es, die Räume hermetisch zu versiegeln; dies wurde als Sicherheitsmaßnahme erklärt, die verhindern sollte, dass eingeschmuggelte biologische oder chemischeKampfstoffe in die Umwelt gelangten, aber ein Zyniker konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob es nicht auch andere Gründe geben könnte, einem Häftling die Luftzufuhr abzuschneiden.
Und dann war da noch die Sache mit den Steckdosen. Die Deckenlampen spendeten mehr als genug Licht, und wie schon gesagt, gab es jede Menge fest eingebaute Aufnahmegeräte. Warum hatten es die Raumausstatter also für nötig erachtet, so viele Anschlussdosen anzubringen?
»Na ja, du weißt doch, wie das ist«, hatte Samir gesagt, als Mustafa ihn auf diesen Umstand hingewiesen hatte. »Manche Bohrmaschinen haben entsetzlich kurze Kabel.«
Während er jetzt durch den Einwegspiegel in Verhörraum A schaute, versuchte Mustafa, sich eine Vernehmungsstrategie zurechtzulegen, die den Einsatz von Elektrogeräten nicht einschloss.
»Abdallah«, sagte er. »Hast du daran gedacht, Dr. Costello eine Bibel anzubieten?«
»Habe ich, Mustafa«, sagte Abdallah. »Aber du siehst ja, wie er bockt. Er würdigt den Bücherwagen ja nicht mal eines Blickes.«
Welche sonstigen Rechte man ihm im Namen der nationalen Sicherheit auch aberkennen mochte – auf eine Heilige Schrift hatte jeder Häftling Anspruch. Das konnte, wenn es sich um einen Christen handelte, eine recht haarige Sache werden, denn während es nur einen einzigen Koran gibt, gibt es viele
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