Mirage: Roman (German Edition)
persönlichen Angelegenheit zu machen?«
»Da können wir nur hoffen, dass ihm bei al-Qaida genügend Selbstdisziplin eingebläut worden ist … Jetzt kommt, schauen wir uns diese Akten etwas genauer an, vielleicht hat der Zensor ja hier und da was übersehen.«
Amal schüttelte den Kopf. »Ich hab’s dir gesagt, da ist wirklich nicht viel zu holen.«
»Nationalität und Religionszugehörigkeit, sagtest du. Machen wir eine Liste.«
Vor dem 9. November hatten sich Experten für die nationale Sicherheit lediglich mit einer Handvoll christlichen Konfessionen befassen müssen.
Orthodoxe, Lutheraner, Katholiken, Anglikaner: Soweit war die Taxonomie kinderleicht zu behalten. Doch dann hatten die Ereignisse des 9. November den nordamerikanischen Protestantismus in das Gemisch gekippt und alles tausendmal komplizierter gemacht.
Die Liste, die sie anhand der Fata-Morgana-Akten erstellt hatten, enthielt Methodisten, Pfingstler, Baptisten, Jünger Christi, Adventisten und ein paar Angehörige obskurerer Sekten, von denen nicht einmal Mustafa je etwas gehört hatte, wie zum Beispiel die Branch Davidians.
»Wer sich damit wahrscheinlich auskennen dürfte, ist Waj.«
»Ist Waj noch so ein israelischer Freund?«
»Nein, er ist Bibliothekar«, sagte Mustafa. » Der Bibliothekar, um genau zu sein …«
Wajid Jamil
----
Wajid »Waj« bin Jamil (* 8. Juli 1966), ein sunnitischer Muslim , ist ein arabischer Programmierer und Internetz-Unternehmer , der vor allem als Gründer der aus freien Inhalten gebildeten Enzyklopädie Die Bibliothek von Alexandria bekannt ist.
Jamil wurde in Tripolis (Libyen) geboren. Sein Vater, Jamil as-Sindi, war ein IT-Fachmann, der als Berater des Staatsgouverneurs Muammar al-Gaddafi arbeitete. Seine Mutter Parmita war Mathematikerin und eine Verwandte des legendären hinduistischen Bibliothekswissenschaftlers S. R. Ranganathan .
Nach seinem Magister-Abschluss in Elektronischer Datenverarbeitung und in Finanzwissenschaft an der Universität Bagdad wurde Jamil einer der ersten Internetz-Tageshändler , wobei er ein selbstentwickeltes EDV-Programm verwendete. Seine Gewinne – die in gleichem Maße aus dem Verkauf seines Programms wie aus tatsächlichen Investitionen stammten – dienten als Anfangskapital für seine späteren Internetz-Projekte …
Zusätzlich zu seiner Arbeit an der Bibliothek von Alexandria hat Jamil Kapital in die Internetz-Auktionsfirma eBasar , die Internetz-Handelsfirma Hawaladar und die Kleinanzeigen-Seite safwanslist investiert. Und er ist Mitbegründer von Christliche-Medien-Wacht , einer Gruppe, die westliche Medien im Hinblick auf antiislamische und antisemitische Propaganda überwacht.
E igentlich hatte Wajid Jamil seine Internetz-Enzyklopädie »Das Haus der Weisheit« nennen wollen, nach der berühmten vom Abbasiden-Kalifen al-Ma’mun gegründeten Akademie, die eine Bibliothek mit einem Übersetzungszentrum in sich vereinigte. Doch der Domänenname war schon vergeben, und der Domänenbesitzer, der ihn sich geschnappt hatte, verlangte dafür eine horrende Summe. Also entschied sich Jamil für das preisgünstigere bibliothekvonalexandria.org und sparte sich den Namen »Haus der Weisheit« für seine Unternehmenszentrale auf.
Das Gebäude lag am Al-Mansur-Platz. Ein Wandgemälde über dem Eingang stellte den großen Gelehrten Ibn al-Haitham dar, wie er seine Schüler unterrichtete. Im Hintergrund waren zwei Gasthörer aus der Zukunft zu sehen: Wajid Jamil in Hacker-Jellaba und Gummischlappen und neben ihm, in einem golddurchwirkten Kaftan, Muammar Abu Minyar al-Gaddafi.
Wer von Jamils Familienbeziehungen nichts wusste, war zu entschuldigen, wenn er sich fragte, ob das als Jux gemeint war. Al-Gaddafi hatte jahrzehntelang darum gekämpft, als arabischer Führer ernst genommen zu werden, aber außerhalb von Libyen wurde er als nicht viel mehr denn eine Skurrilität angesehen: der Gouverneur auf Lebenszeit, der in einem Nomadenzelt schlief und den Schutz seiner Person ausschließlich Leibwächter innen anvertraute.
Sein großer Moment im nationalen Scheinwerferlicht war im Jahr 2000 gekommen, als er als Parteiloser für das Präsidentenamt kandidiert hatte. Während einer Debatte gefragt, auf welche Leistungen als Gouverneur er am meisten stolz sei, erging er sich weitschweifig über allerlei Infrastrukturprojekte, darunter ein Entwicklungsprogramm, das Tripolis und Bengasi zu den zwei ersten Städten Nordafrikas gemacht hatte, in denen freier kabelloser
Weitere Kostenlose Bücher