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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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Internetzzugang verfügbar war. Als der Gouverneur ausgeredet hatte, fragte der Gegenkandidat, Bandar as-Saud, in freundlich spöttischem Ton: »Verzeihung, wollen Sie uns damit sagen, dass Sie das Internetz erfunden haben?« Nun hatte Gaddafi zwar nicht entfernt etwas Derartiges behauptet, aber der Spruch erntete einen gewaltigen Lacher und wurde schon bald als Fakt referiert.
    Der Enzyklopädie-Artikel über den Gouverneur war allerdings respektvoll bis zur Unterwürfigkeit. Der Mann, den Wajid Jamil als Onkel Muammar kannte, besaß zwar vielleicht keine echten magischen Kräfte, wohl aber besaß er das Tarhuna-Datenzentrum, das größte staatlich subventionierte Dienstleistungsrechnersystem des Landes, tief unter den Bergen südlich von Tripolis: Speicherplatz bis zum Abwinken und die dazugehörige Bandbreite, alles zu einem absoluten Spottpreis für diejenigen, die der Gouverneur zu seinen Freunden zählte. Wajid gab sich alle Mühe, Element dieser Menge zu bleiben.
    Die Empfangsdame im Haus der Weisheit erklärte ihnen, dass Waj in Kürze Zeit für sie haben würde, und lud sie ein, solange in einem privaten Cybercafé-Aufenthaltsbereich zu warten. Während Samir sich Gebäck nahm und Amal die Bilder an den Wänden betrachtete – Aquarelle von der libyschen Wüste, vom Gouverneur selbst gemalt –, schenkte Mustafa sich Tee ein und setzte sich an einen Rechner.
    Die voreingestellte Ausgangsseite war die Bibliothek von Alexandria, aber ein paar Mausklicks brachten ihn zur Internetzpräsenz der Christlichen-Medien-Wacht, einer Seite, die sich dem Grundsatz verschrieben hatte: »Egal, wie groß deine Angst vor den westlichen Jesusjüngern ist, sie ist nicht groß genug!« Das Banner zeigte eine Szene aus demVolksaufstand: einen schreienden Teutonen mit einem blutroten Kreuz auf der Brust, der kraftvoll ausholte, um einen Molotowcocktail auf einen Trupp israelischer Polizisten in Kampfausrüstung zu schleudern. Darüber zog sich der Spruch hin: »Vorwärts, Krieger Christi, was auch kommen mag …«, was eine Fußnote als ZITAT AUS EINER BELIEBTEN CHRISTLICHEN HYMNE auswies.
    Mustafa tippte in das Suchfeld von Christliche-Medien-Wacht das Wort »Entrückung« ein, und der Bildschirm füllte sich mit Video-Vorschaubildern. Er klickte eines an, neben dem »FOX News, Januar 2002« stand, und die Netzseite begann, die Aufzeichnung eines Gesprächs mit einem Mann zu übertragen, der als »evangelikaler Prediger aus Fairfax County« vorgestellt wurde.
    »Dann bereitet Ihnen die Drohung einer arabischen Invasion also keine Sorgen?«, fragte der Berichterstatter.
    »Sorgen?«, sagte der Prediger. »Aber nein, Sir, warum sollte sie mir Sorgen bereiten?«
    »Sie sind hier sehr nah an Washington. Und Sie wissen, dass der Präsident ein Massaker versprochen hat, falls der Feind versuchen sollte, in die Hauptstadt einzudringen.«
    »Nun, Sir, Gott segne den Präsidenten, aber was mich interessiert, sind nicht die Versprechen von Menschen … Sagen Sie mir eins, haben Sie Jesus in Ihr Herz aufgenommen?«
    »Ich gehe regelmäßig in die Kirche, ja.«
    »Das war nicht meine Frage. Wenn Sie Jesus, wie ich, als Ihren persönlichen Heiland akzeptiert haben, dann ist Ihnen Ihr Platz im Himmel sicher und Sie brauchen nichts zu befürchten. Aber wenn nicht, gibt es keinen Platz auf Erden, der sicher wäre …«
    »Sie sprachen vorhin von der Großen Drangsal«, sagte der Berichterstatter. »Glauben Sie, dass die arabische Invasion der Anfang davon sein könnte?«
    »Es ist zu früh, um darüber etwas sagen zu können. Wie man hört, findet gegenwärtig ein Geheimtreffen des Präsidenten der israelischen Knesset und des Großrabbiners von Berlin mit den Staatsoberhäuptern der VAS und Persiens statt. Gerüchten zufolge könnten wir auch bald einen riesigen Zustrom von Juden nach Palästina erleben. Wenn das geschieht, so wäre das mit Sicherheit ein Vorzeichen der nahenden Drangsal.«
    »Und wie würden Sie darauf reagieren?«
    »Ich würde sagen: ›Nur zu!‹« Der Prediger lächelte. »Ich würde sogar sagen: Mögen auch die Araber kommen! Aber sie sollten sich besser auf eine Überraschung gefasst machen!«
    »Sie glauben, Gott wird sie … zerschmettern?«
    »Nein, Sir, ich glaube, sie werden ein leeres Land vorfinden. Ein leereres jedenfalls … Kommt erst die Entrückung, weiß ich mit Sicherheit, dass ich nicht mehr zu Hause sein werde …«
    Mit ihrer Kunstbetrachtung fertig, stand Amal jetzt neben Mustafa und sah sich das Video

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