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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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Mustafa heimfuhr in den Süden des Irak, zu ihrer Familie, oder wenn Fadwas Eltern nach Bagdad heraufkamen, spielten die beiden Kinder miteinander. Als Mustafa noch sehr klein war, ärgerten ihn seine Schwestern manchmal damit, dass sie sagten, eines Tages würden er und Fadwa heiraten.
    Dann, gerade als sie beide ein Alter erreichten, an dem von Jungen und Mädchen erwartet wird, dass sie getrennt spielen, bekam Fadwas Vater eine Stelle im Ausland, und zwar ausgerechnet in Amerika. Umm Mustafa war traurig, ihre Freundin wegziehen zu sehen, aber sie war auch aufgeregt, weil sie dachte, ihre eigenen Träume vom Reisen würden nun endlich Wirklichkeit werden. Doch Fadwas Mutter in ihrer neuen Heimat zu besuchen erwies sich als schwierig, ja praktisch unmöglich: Die Amerikaner knauserten mit Touristenvisa, und beide Male, als Umm Mustafa die bürokratischen Hürden überwand, musste die Reise in letzter Minute abgesagt werden – einmal, weil Abu Mustafa in der Universität keinen Urlaub bekam, und einmal wegen Umm Mustafas nachlassender Gesundheit.
    Als Mustafa Fadwa endlich wiedersah, war seine Mutter bereits seit drei Jahren tot. Er hatte gerade die Uni abgeschlossen und bei der Halal-Behörde angefangen. Dass Fadwas Familie wieder im Irak war – nachdem der amerikanische Posten ihres Vaters dem Golfkrieg zum Opfer gefallen war –, hatte er schon gehört, aber es überraschte ihndoch, einen Brief von ihr zu erhalten, eine Einladung zur Hochzeit ihres Bruders. Fast wäre er nicht hingegangen. Er hatte an dem Wochenende Dienst, eine Überwachung in Samarra, aber im letzten Moment überredete er Samir, für ihn einzuspringen, und fuhr nach Süden, in das Dorf, in dem seine Mutter geboren worden war.
    Fadwa war zu einer schönen jungen Frau herangewachsen. Mustafa wich ihr während des größten Teils der Hochzeitsfeier nicht von der Seite, und am späten Nachmittag machten sie zusammen einen Spaziergang durch das Dorf und besuchten die Stätten ihrer Kindheit. Im Ort hatte sich, abgesehen vom breiten Bewässerungskanal, der jetzt durch die Felder im Westen verlief, kaum etwas verändert. Zahlreiche Schilder verkündeten, dass der Kanal ein »Geschenk« der Baath-Gewerkschaft sei.
    Fadwa erzählte Mustafa, dass ihr Vater mit dem Gedanken spielte, in die Baath einzutreten. »Er will es nicht. Er mag Saddam Hussein nicht und er traut ihm nicht. Aber seit wir aus Amerika zurück sind, findet er einfach keine Arbeit.«
    »Er hat recht damit, Saddam nicht zu trauen«, sagte Mustafa und erklärte ihr dann, dass es sich bei dem Kanalbauprojekt, das überhaupt nur aufgrund erheblicher Schmiergeldzahlungen von der Staatsregierung genehmigt worden war, um einen ausgeklügelten Racheplan handelte. »Die schiitischen Schmugglerbanden entlang der persischen Grenze weigerten sich, Saddams Syndikat beizutreten, also trocknet er ihnen zur Strafe das Marschland unter dem Hintern weg.« Die vielen unschuldigen Marschbauern, deren traditionelle Lebensweise dadurch zerstört wurde, waren Saddam völlig egal. Der Bundesregierung leider auch. »Mein Chef hat versucht, die Umweltschutzbehörde zu aktivieren – die Leute haben tatsächlich mehr Macht als die Halal, wenn es um derlei Dinge geht. Aber Iraker zählen offenbar nicht als gefährdete Art.«
    »Dann bleibt es also an dir hängen«, sagte Fadwa und lächelte über seinen Ernst. »Du wirst den alten Gangster selbst aus dem Verkehr ziehen müssen.«
    »Ich werd’s versuchen«, sagte Mustafa und lächelte zurück.
    Mehrere Monate später kam es zu einem formellen Treffen von Mustafas Schwestern und Tanten und den Frauen von Fadwas Familie mit dem Ziel, die Details eines Ehevertrags auszuhandeln. Sobald das erledigt war, setzten sich die Männer zu einem Grillabend zusammen. Mustafa und Fadwa heirateten im Juni. Mit Geld von Mustafas Familie bekamen sie ihr erstes eigenes Zuhause in der Vorstadt Neu-Bagdad.
    Das erste Jahr ihrer Ehe war eine glückliche Zeit gewesen, aber im Nachhinein kam es Mustafa so vor, als wäre sie einem anderen Mann widerfahren. Damals hatte er wieder einmal versucht, ein richtiger Muslim zu sein: regelmäßig zu beten, Almosen zu geben, während des Ramadan zu fasten. Viel von dem, was er tat, tat er Fadwa zuliebe, so wie er es früher seiner Mutter zuliebe getan hatte, aber ihr eine Freude zu machen schenkte ihm eine Befriedigung, die sich sehr wie Rechtschaffenheit anfühlte. Diese Befriedigung floss auch in seine Arbeit ein. Die Leute bezeichneten die

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