Mirage: Roman (German Edition)
zugehört, der Rest waren nur noch Details. Selbst der unerwartete Geldsegen durch Wajids Aktienangebot, den Mustafa mutwillig als Beweis dafür auslegte, dass Gott diese seine Fantasie guthieß, war lediglich ein weiterer Schritt in eine Richtung, die er längst eingeschlagen hatte.
Als sie jetzt das Haus der Gerechtigkeit verließen, spürte er, wie die altvertraute Reue an ihm nagte. Statt mit Samir und Amal in die Zentrale zurückzukehren, sagte er ihnen, sie sollten schon mal ohne ihn vorgehen. »Ich komm dann später nach.«
»Wo willst du hin?«, fragte Amal, und Samir sagte, viel zu gut gelaunt: »Zu einer Frau, die ein Auto sucht, möchte ich wetten.«
»Weißt du, Samir«, sagte Mustafa, »manchmal hast du eine noch größere Klappe als Wajid.«
»Mustafa …«
»Bah!« Mustafa warf die Hand zu einer obszönen Geste hoch und marschierte davon.
Die Eigentumswohnung, die er Nur als Brautpreis gekauft hatte, lag in einem mehrere Blocks entfernten Gebäude. Mustafa hatte sie seit mehreren Jahren nicht mehr betreten. Nur hatte ihn verbannt, müde, wie sie sagte, wie eine nicht angeklagte Mitschuldige an Fadwas Tod behandelt zu werden. Mustafa nahm ihr das nicht übel, aber ebenso wenig brachte er es über sich, sie gehen zu lassen. Anstatt in die Scheidung einzuwilligen, die sie verlangte, hatte er diese Ehe-in-der-Schwebe fortbestehen lassen. Ab und an, wenn er gerade in der Gegend war und sein Gewissen ihm zu schaffen machte, lungerte er für eine Weile im Innenhof des Hauses herum und versuchte, Worte zu finden, die es gerechtfertigt hätten, auf ihren Klingelknopf zu drücken.
Heute waren alle Vorhänge an Nurs Fenstern zugezogen, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie unterwegs war – wahrscheinlich im Auftrag von FOX, wo sie inzwischen fest angestellt war.
»Deine Frau ist nicht da.«
Idris saß in einer schattigen Ecke des Hofes vor einem Tisch, der mit einem kompletten Teeservice gedeckt war, und sein nonchalantes Gebaren suggerierte, dass er diesen Ort nur rein zufällig für die Einnahme einer vormittäglichen Erfrischung ausgesucht hatte. Eine bühnentechnische Glanzleistung, dachte Mustafa; er sah zwar, dass das Teeservice aus einem Café direkt auf der anderen Straßenseite stammte, aber trotzdem mussten sich Idris’ Leute gewaltig beeilt haben, um die Szene rechtzeitig aufzubauen.
»Deine Frau ist nicht da«, wiederholte Idris. »Möchtest du wissen, wo sie ist? Und mit wem?«
Der Appell an die Eifersucht war allerdings nicht der beste Eröffnungszug. »Bietet al-Qaida neuerdings auch Eheberatung an?«
»Spotte du nur. Ich habe alle meine Frauen noch.«
»Hohe Mauern sind da zweifellos von Nutzen.« Mustafa setzte sich und wartete, während Idris ihm eine Tasse Tee einschenkte. »Ich nehme an, du bist hier, um mir klarzumachen, dass ich die Ermittlung besser vergessen sollte.«
»Wir wissen beide, dass du sie jetzt, wo der Präsident sich eingeschaltet hat, nicht mehr einstellen kannst«, sagte Idris. »Aber es wäre klug von dir, sie nicht allzu eifrig voranzutreiben.«
»Wenn wir schon von Dingen reden, die wir beide wissen – diese Art von Klugheit ist nicht meine Stärke.«
»Ich bin bereits selbst zu dem Schluss gekommen, dass dir zu drohen kontraproduktiv sein würde.« Idris musterte ihn über seine Teetasse hinweg. »Was waren noch mal die anderen Optionen? Bestechung und Erpressung?«
Ah, dachte Mustafa, das ist nun wirklich nicht sehr gescheit. Ich hatte ohnehin schon den Verdacht gehabt, das Büro sei verwanzt, und meine Paranoia zu bestätigen macht mich nicht gerade kooperativer. Aber vielleicht bist du zu hochmütig, um das zu begreifen.
Er sagte: »Versuch es mit Bestechung. Ich bin neugierig zu hören, welchen Anreiz du mir bieten würdest.«
»Die Rückkehr zur Gerechtigkeit«, sagte Idris sofort. »Und den inneren Frieden, der damit einhergeht.«
Mustafa lächelte. »Du kannst mich zu einem Gerechten machen?«
»Erinnerst du dich, wie wir uns kennengelernt haben, Mustafa?«
»Ja, ich erinnere mich sehr gut. Wir waren auf dem Schulhof. Du und deine Bande habt Samir und diesen anderen Jungen drangsaliert, den Stotterer, wie hieß er noch mal?«
»Abd ar-Rahman.«
»Ja.«
»Ja«, sagte Idris, »und du bist zu ihrer Verteidigung angetreten.«
»Sowenig es auch genützt hat. Ihr habt uns alle drei verprügelt, wie ich mich erinnere.«
»Klar haben wir. Wir waren größer und stärker. Du wusstest, dass wir dich verprügeln würden. Aber du bist uns trotzdem
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