Miramar
Ratschläge der alten Männer
durchaus an, aber er folgte meistens den Meinungen der jungen. Gott beschütze
dich, Zuchra!
»Es geschehen wichtige
Dinge um Sie herum, und Sie wissen nichts davon, Alter!« sagt Tolba Marzuq und
lächelt boshaft. Wir sitzen allein im Entrée.
Nur der unaufhörlich strömende Regen
leistet uns Gesellschaft.
»Was ist passiert?« frage ich, schlimme
Nachrichten erwartend.
»Der Don Juan von al-Buhera bereitet im
verborgenen einen Umsturz vor.«
Die Angelegenheit interessiert mich,
weil sie mit Zuchra zu tun hat, so frage ich ihn, was er meint.
»Er hat nicht mehr das alte Ziel. Er
steuert jetzt geradewegs auf ein neues zu.«
»Sprechen Sie deutlicher und ohne
Schadenfreude!«
»Gut, jetzt ist die Ustasa an der
Reihe.«
»Die Lehrerin meinen Sie?«
»Genau! Ich habe beobachtet, wie sie
Blicke miteinander tauschten, und Sie wissen ja, daß ich langjährige Erfahrungen
mit dieser Art der Verständigung habe.«
»Was sind Sie doch für ein Mann!
Ständig nehmen Sie Ihre bösen Gedanken für die Realität!«
»Papa Amir«, spottet er schadenfroh,
»ich fordere Sie auf, sich das artigste aller Dramen im Miramar nicht entgehen
zu lassen!«
Ich entschließe mich, ihm keinen
Glauben zu schenken, bin aber doch voller Unruhe. Da erzählt uns Husni Allam am
selben Tag von einer Auseinandersetzung, die es zwischen Sarhan al-Buheri und
Machmud Abul-Abbas, dem Zeitungsverkäufer am Ramlah-Platz, gegeben habe. Ich
ahne, was dahintersteckt, aber was daraus geworden ist, übersteigt meine
Vorstellungskraft.
»Sie schlugen so aufeinander ein, daß
Passanten eingreifen mußten«, berichtet Husni.
»Haben Sie die Prügelei beobachtet?«
fragt ihn Tolba Marzuq.
»Nein, ich habe unmittelbar danach
erfahren, was geschehen ist.«
»Wurde die Polizei gerufen?« erkundigt
sich Madame teilnahmsvoll.
»Nein, es endete mit einer Flut von
Beschimpfungen und Drohungen.«
Sarhan erwähnt den Vorfall nicht, und
wir vermeiden es, davon zu reden.
Mir fällt wieder ein, was Tolba von
Sarhan und der Lehrerin erzählt hat, da packen mich Kummer und Sorgen.
»Treue kennt der Seemann kaum — gebt, Augen, meinen
Träumen Raum!«
Wir hatten so laut geklatscht und
gerufen, daß er es wieder und wieder sang, sang bis zum Morgengrauen. Damals
war ich jung, voller Kraft, aß gut und trank
viel . Aber mein Herz litt unter der Last seines Kummers.
Ich träume vom Tod meines
Vaters.
Erst gegen Morgen bin ich in Schlaf
gesunken. Ich sehe, wie sie ihn aus dem Säulengang der Abul-Abbas-Moschee
tragen, wo ihn der Tod ereilt hat.
Dann bringen sie ihn nach Hause. Ich
weine. Der Aufschrei meiner Mutter klingt mir im Ohr. Ich höre ihn immer noch,
als ich die Augen öffne.
O Gott, was geschieht da draußen? Ist
es wie beim letzten Mal? Die Pension Miramar hat sich in eine Arena verwandelt.
Aber als ich aus meinem Zimmer trete, ist alles vorbei. Mariana sieht mich und
kommt zu mir, als suche sie bei mir Hilfe.
Wir gehen in mein Zimmer, und sie ruft:
»Das geht zu weit, das geht zu weit, ab mit ihnen allen in die Hölle!«
Ich sehe sie schlaftrunken an, und sie
erzählt mir die neue Geschichte. Sie sei von lautem Gezänk aufgewacht, habe ihr
Zimmer verlassen und gesehen, wie draußen Husni Allam und Sarhan al-Buheri
aufeinander einprügelten.
»Husni Allam?«
»Ja. Warum nicht? Es muß doch hier
jeder sein Stück von der allgemeinen Tollheit abbekommen!«
»Aber aus welchem Grund?« frage ich
verärgert.
»Tja, dafür müssen Sie einen Schritt
zurückgehen, bis zu einem Vorfall, den ich auch nicht miterlebt habe, weil ich
schlief wir ihr alle.«
»Und sie?«
»Zuchra sagt, Husni Allam sei betrunken
von draußen hereingekommen und habe versucht ...«
»Nein!«
»Ich glaube ihr, Monsieur Amir.«
»Ich auch, aber bei Husni war nie zu
beobachten, daß er ...«
»Wir können die Augen nicht überall
haben! Sarhan wachte im rechten Moment auf, und dann geschah es.«
»Wie bedauerlich!«
Sie streicht sich über den Hals, als
wolle sie ihre vom vielen Schreien schmerzenden Stimmbänder beruhigen, und sagt
dann: »Das geht zu weit ..., sollen sie alle zur Hölle fahren!«
»Jedenfalls Husni Allam!« schränke ich
ärgerlich ein.
Sie sagt nichts dazu, ereifert sich
auch nicht mehr, sondern verläßt mürrisch das Zimmer.
Als Zuchra am nächsten Nachmittag zu
mir kommt, blicken wir uns vielsagend an.
Ich murmle: »Es tut mir sehr leid,
Zuchra!«
»Das sind Männer ohne jeden Anstand!«
entgegnet sie
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