Miramar
Verstand
gelassen, Alter?« spottet er. »Wo bleibt denn da Ihr Scharfsinn?«
»Zuchra ist keine von denen!«
»Gott erbarme sich Ihrer Arglosigkeit!«
Einerseits bin ich ihm böse,
andererseits hege ich doch Zweifel. Tieftraurig denke ich: Das arme Mädchen!
Tolba Marzuq fährt fort: »Madame war
die erste, die mich auf die Beziehung zwischen den beiden aufmerksam gemacht
hat, aber ich hatte das gar nicht nötig.«
»Sie hat eine verdorbene Phantasie.«
»Wie Sie wissen, ist sie immer bereit,
entweder sie zu beschützen oder aber sie auszubeuten.«
»Sie tut weder das eine noch das
andere«, brause ich auf, »das kann ich beschwören.«
Dann kommt unsere Begegnung am
Nachmittag, traurig, bewegend. Sie bittet mich, ich solle sie nicht an meine
Ratschläge von früher erinnern, sie nicht tadeln oder schelten. Ich unterlasse
das alles und empfehle ihr statt dessen, sie solle ihrer Zukunft mit dem Mut
entgegensehen, der ihr so gut anstünde.
»Sag mir, Zuchra, hat dein Eifer, etwas
zu lernen, nachgelassen?«
»Ich werde eine andere Lehrerin finden!«
entgegnet sie entschlossen, aber ohne jede Begeisterung.
»Wenn du irgendwelche Hilfe brauchst
...« Sie lehnt sich gegen mich und küßt mich leicht auf die Schulter, dann
beißt sie sich auf die Lippen, um die Tränen zurückzuhalten. Ich strecke meine
von dicken Adern durchzogene, wie gegerbt wirkende Hand aus, streiche ihr
zärtlich über das schwarze Haar und murmle: »Gott beschütze dich, Zuchra!«
Ich bleibe an diesem
Abend in meinem Zimmer und gebe meiner völligen Erschöpfung nach. Die Müdigkeit
hält mich noch einige Tage lang dort fest.
Dann muntert mich Madame auf, meine
Schwäche zu überwinden, um die bevorstehende Silvesternacht zu feiern.
»Wollen wir sie im Monseigneur
verbringen, wie Tolba Bey vorgeschlagen hat«, fragt sie mich während dieses
Gesprächs, »oder hier?«
»Hier ist es besser, meine Liebe«,
murmle ich ohne große Begeisterung.
Wie oft hatte ich diese Nacht im
Sault's, im Groppi, im Tausendundeiner Nacht und im Lipton-Garten verbracht. Es
gab aber auch ein Jahr, da erlebte ich sie als Häftling im Militärgefängnis der
Zitadelle.
Am dritten Morgen meines
Rückzugs aufs Zimmer kommt Madame in höchster Aufregung hereingestürzt und
ruft, ganz außer Atem: »Haben Sie schon das Neueste gehört?« Sie läßt sich in
den großen Sessel fallen: »Sarhan al-Buheri ist ermordet worden!«
»Was?« rufe ich.
»Er wurde auf der Straße nach Palma
ermordet aufgefunden. «
Tolba Marzuq kommt hinter ihr her, hält
voller Nervosität die Zeitung in der Hand und kommentiert: »Eine höchst
unangenehme Nachricht! Sie wird uns Probleme schaffen, die wir jetzt noch gar
nicht absehen können!«
Ohne zu einem Ergebnis zu kommen,
erörtern wir die Angelegenheit nach allen Richtungen, prüfen alle
Möglichkeiten, denken an die erste Verlobte Sarhans, an Husni Allam, Mansur
Bahi, Machmud Abul-Abbas. Abschließend meint Madame: »Vielleicht ist der Mörder
aber auch ein ganz anderer, auf den wir nie kommen würden.«
»Warum nicht?« rätsle ich. »Schließlich
wissen wir so gut wie nichts von dem jungen Mann, weder von seiner Vergangenheit
noch von seinen Kontakten, noch von seinen Lebensumständen.«
Madame ist voller
Unruhe:»Ich hoffe nur, daß man den Mörder so schnell wie möglich findet und daß
wir absolut nichts mit ihm zu tun haben und auch, daß kein Polizistengesicht
hier auftaucht!«
»Das hoffe ich ebenfalls aus ganzem
Herzen!« unterstützt sie Tolba Marzuq.
Ich frage nach Zuchra, und Madame sagt
seufzend: »Die Sache hat sie schwer mitgenommen. Das könnt Ihr mir glauben. Das
arme Mädchen!«
»Kann ich sie nicht sehen?« frage ich
bekümmert.
»Sie ist völlig verstört in ihrem
Zimmer und hat die Tür hinter sich zugeschlossen.«
Noch einmal erörtern wir die
Angelegenheit nach allen Seiten, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.
Ich schließe die Augen und höre immer
wieder Seine Worte:
Was auf der Erd' ist, muß vergehn,
Und nur das Antlitz deines Herrn wird
bestehn,
Das herrlich ist zu nennen;
Welche Gnad' eures Herrn wollt ihr
verkennen?
II. Husni Allam
Vergiß es, Sunnyboy,
vergiß es!
Das Antlitz des Meeres ist schwarz,
durchsetzt mit Injektionen von Bläue.
Es birst vor Zorn, aber es unterdrückt
seinen Zorn. Seine Wellen schlagen aufeinander ein und suchen sich gegenseitig
abzuwürgen. Es kocht vor ewiger Wut, die nirgends entweichen kann.
Eine Revolution! Warum nicht? Um euch
zu bestrafen, euch
Weitere Kostenlose Bücher