Miramar
dessen Vermögen sequestriert wurde. Außerdem gehört er zu der
Klasse, die wir irgendwie beerben müssen. Jetzt schaut er intensiv in sein
Teeglas, vermeidet es, mich anzusehen, sei es aus Vorsicht, sei es aus Stolz.
Meine Gefühle ihm gegenüber sind widersprüchlich, schwanken zwischen Mitleid
und Schadenfreude. Etwas kristallisiert sich jedoch sehr deutlich heraus: Eine
seltsame Furcht vor dem Gedanken an die Sequestrierung von Vermögen. Als ob ich
glaubte, daß, wer einmal tötet, sich an das Töten gewöhnt und es immer wieder
tut.
Amir Wagdi, der Journalist, will mir
etwas Nettes sagen. »Es freut mich, daß Sie ein Ökonom sind. Ökonomen und
Ingenieure sind heute die wichtigste Stütze des Staates!«
Ich denke an Ali Bakir und bin nicht sehr
glücklich über dieses Kompliment.
»Zu unserer Zeit«, fährt der alte Mann
fort, »stützte er sich vor allem auf die Redekunst der Rhetoriker.«
Ich lache spöttisch und meine, damit zu
zeigen, daß ich derselben Ansicht bin wie er, aber er scheint eher verärgert.
Dann wird mir klar, daß er nicht kritisieren, sondern eine historische Tatsache
darlegen wollte. Er fährt fort, seine Generation verteidigend: »Mein lieber
Sohn, unser Ziel war es damals, das Volk aus seinem Schlaf aufzuwecken, und
Völker erwachen durch Worte, nicht durch Ingenieure oder Ökonomen.«
Schnell stecke ich zurück und sage
entschuldigend: »Wenn Ihre Generation nicht ihre Pflicht erfüllt hätte, so
könnte die unsere gar nicht existieren!«
Tolba Marzuq schweigt beharrlich.
Mein Herz gewinnt seine
Unschuld und Jugendlichkeit zurück. Es wird so frisch wie dieser helle Morgen,
wie dieses reine Meeresblau, diese gesegnete Wärme. Lebensfreude durchpulst
mich, wenn ich Atem hole, rinnt mir durch die Adern, erfüllt mich mit innerer
Fröhlichkeit und mit Verlangen.
Ich verbringe einen angenehmen
Arbeitstag in der Gesellschaft und nehme dann das Abendessen mit Safejja in der
alten Wohnung ein. Sie schaut mich durchdringend an. Ich tarne mich mit der
Maske des Unglücklichen und beklage mich bei ihr darüber, wie scheußlich, kalt
und ungemütlich die Pension ist. Ein unerträgliches Leben, meine Liebe. Und
deswegen habe ich einen Makler beauftragt, mir eine Wohnung zu suchen.
Ich höre die altbekannte Litanei.
Elender Feigling, Mistkerl. Nach dem Essen, als wir uns wie üblich hinlegen
wollen, frage ich mich, wann ich mich endlich von dieser Fron befreien werde.
Ich beobachte Zuchra, die
Amir Wagdi den Kaffee ins Zimmer bringt. Die große Uhr schlägt fünf Uhr
nachmittags, und ich bestelle eine Tasse Tee. Sie bringt sie mir und stimmt
mich glücklich wie eine blühende Narzisse oder ein liebliches Lied mit ihrem
schwarzen Haar, ihrer frischen braunen Haut und ihren braunen Augen. Als ich
nach dem Tee greife, berühre ich ihre Hand und sage leise: »Deinetwegen habe
ich mich in das Gefängnis dieses Zimmers begeben!«
Sie zieht die Augenbrauen zusammen, um
ihre Gefühle zu verbergen, wendet sich dann ab und will hinausgehen. Bevor sie
meinen Blicken entschwindet, sage ich: »Ich liebe dich, vergiß das nie!«
Aber erst am nächsten Nachmittag
antwortet sie mir. Ich will soviel wie möglich von ihr wissen. So frage ich
sie, was sie eigentlich aus al-Zijadijja hierhergeführt habe.
»Ich muß ja schließlich meinen
Lebensunterhalt verdienen«, entgegnet sie in dem mir so vertrauten Tonfall der
Rif-Bewohner. Dann erzählt sie von ihrer Familie, berichtet, warum sie von zu
Hause geflohen sei und wie sie bei Madame Zuflucht gesucht habe, indem sie ihr
ins Gedächtnis rief, wer ihr Vater war.
Mitleidig wende ich ein: »Aber sie
gehört zu den Khawaga, und die Pension ist, das weißt du selbst am besten, wie
ein Suk, auf dem Waren angeboten und erfeilscht werden.«
»Ich kenne mich auf dem Suk ebensogut
aus wie auf dem Feld!« betont sie voller Stolz und Selbstvertrauen. Sie hat
ihre Erfahrungen im Leben gemacht und ist nicht so leicht aus der Bahn zu
werfen. Aber kann ich ihr die Geschichte überhaupt so glauben? Mädchen, die vom
Dorf in die Stadt fliehen, tun das doch nur, weil sie ...
»Das alles ist sicher nur geschehen,
damit wir uns hier begegnen!« sage ich und schaue sie verliebt an.
Sie mißt mich mit einem fragenden
Blick, voller Zweifel und doch voll unverhohlener Zuneigung.
»Ich liebe dich«, bekräftige ich, »das
kann ich dir nicht oft genug sagen, Zuchra!«
»Hören Sie endlich damit auf!«
»Ich werde nicht eher damit aufhören,
als bis du mir das gleiche sagst
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