Miramar
richtiger ein Greis. Drei-oder
viermal in meinem Leben habe ich Schicksalsschläge erlebt, die mich so weit brachten,
daß ich mir am liebsten das Leben genommen hätte. Jedesmal rief ich aus wundem
Herzen: ›Nun ist alles zu Ende!‹ Und jetzt siehst du mich in einem Alter, das
nur sehr wenige erreichen. An die Anfälle tiefer Verzweiflung in meinem Leben
habe ich heute nur noch sehr verschwommene Erinnerungen, Erinnerungen ohne
jeden bitteren Beigeschmack, bedeutungslos für mich, als seien sie die eines
anderen.«
Sie hört mir lustlos, aber auch nicht
ganz desinteressiert zu.
»Lassen wir unsere Traurigkeiten, Zuchra,
die Zeit heilt alle Wunden! Du mußt jetzt an deine Zukunft denken. Tatsache
ist, daß die Dame dich hier nicht mehr haben will ...«
»Das kümmert mich nicht!« unterbricht
sie mich heftig.
»Und was hast du vor?«
»Dasselbe wie vorher«, entgegnet sie
und schaut immer noch zu Boden, »bis ich erreicht habe, was ich will.«
Aus ihren Worten spricht eine
Entschlußkraft, die mir meinen Mut zurückgibt. »Gut!« sage ich, »gut, daß du
weiterlernen und dich auf einen Beruf vorbereiten willst! Aber wie gedenkst du
deinen Lebensunterhalt zu sichern?«
Mit ebensoviel Zuversicht wie Trotz
entgegnet sie: »Ich treffe jetzt auf Schritt und Tritt jemanden, der mir eine
Arbeitsstelle anbietet.«
Sanft versuche ich sie zu überreden:
»Und das Dorf ... Willst du nicht dahin zurückkehren?«
»Nein! Sie denken dort schlecht von
mir!«
Fast bittend frage ich: »Und Machmud
Abul-Abbas? Er hat sicher seine Fehler. Aber du bist doch stark, kannst ihn dir
zurechtbiegen und zum Besseren führen!«
»Er denkt genauso schlecht von mir wie
meine Angehörigen! «
Ich seufze traurig und ergeben: »Ich
möchte mich nur ruhig fühlen können deinetwegen, Zuchra. Ich mag dich, und ich
glaube, das beruht auf Gegenseitigkeit. Und im Namen Gottes bitte ich dich, daß
du zu mir kommst, wenn du in irgendwelchen Schwierigkeiten bist!«
Da sie mich dankbar und liebevoll
ansieht, fahre ich fort: »So bitter auch die Erfahrung war, die du gerade
hinter dir hast, sie ändert nichts an der Natur der Dinge. Dein Ziel wird es
immer noch bleiben, einen anständigen jungen Mann zu finden, den du heiraten
kannst.«
Sie senkt den Kopf und seufzt.
»Du wirst den jungen Mann, der deiner
würdig ist, mit Sicherheit treffen.
Es gibt ihn irgendwo, und vielleicht
hält er schon nach dem geeigneten Moment Ausschau!«
Sie sagt leise etwas vor sich hin, was
ich nicht verstehe, aber mein Herz versichert mir, daß es gute Worte sind.
»Die Welt ist immer noch schön«, fahre
ich fort, »und sie wird es bleiben!«
Wir sitzen noch eine Weile beieinander,
einmal schweigend, dann wieder miteinander redend. Aber nach geraumer Zeit
entschuldigt sie sich und geht in ihr Zimmer.
Ich bleibe lange Zeit allein, bis ich —
ich bin eingeschlafen, ohne es zu merken — vom Geräusch der aufgehenden Tür
aufwache.
Mariana und Tolba Marzuq kommen
angetrunken und singend herein.
Der Mann ruft mir zu: »Was, Sie sitzen
immer noch hier, Alter?«
Ich gähne überrascht und frage, wie
spät es ist.
Mariana antwortet mit alkoholschwerer
Zunge: »Es ist zwei Stunden nach Mitternacht!«
Da küßt der Mann sie und will sie in
sein Zimmer schieben. Sie fügt sich ihm nach kaum nennenswertem Widerstand.
Dann schließt sich die Tür hinter ihnen. Ich schaue ihnen nach und habe das
Gefühl zu träumen.
Wir sitzen am
Frühstückstisch allein zusammen. Mariana ist noch nicht erschienen, während
Zuchra gegangen ist, nachdem sie den Tisch gedeckt hat.
Ich sehe ihn an und finde, daß er
mitgenommen, ja krank aussieht.
Scherzend rufe ich ihm zu: »Einen
gesegneten Hochzeitsmorgen!«
Zunächst ignoriert er mich, dann
murmelt er: »Sie müssen es gewesen sein, der mich verhext hat!«
Als ich ihn neugierig anschaue, muß er
lachen und bekennt: »Es war ein Fiasko, blamabel und lächerlich gleichermaßen!«
»Wovon reden Sie?« frage ich, mich dumm
stellend.
»Sie wissen genau, wovon ich rede, Sie
Schlaumeier!«
»Von Mariana?«
Noch einmal muß er lachen, dann
berichtet er: »Wir versuchten das Unmögliche, taten alles, was man sich nur
vorstellen kann, aber ohne Erfolg.
Als sie sich ausgezogen hatte, sah sie
aus wie eine zerschmelzende Figur aus einem Wachsfigurenkabinett. Und ich war
entsetzt.«
»Sie sind verrückt!«
»Dann bekam sie eine Nierenkolik.
Stellen Sie sich das vor! Sie fing an zu weinen und beschuldigte mich, ich sei
herzlos zu
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