Miranda - so stolz und so süß (German Edition)
anderen Mann hätte man Leos Verhalten als großzügig eingestuft, und ursprünglich hatte sie angenommen, er sei das. Mr Pendles Worte hatten sie jedoch rasch anderer Meinung gemacht. Er hatte gesagt, der Herzog sei sich seiner gesellschaftlichen Stellung und der damit verbundenen Pflichten sehr bewusst. Sein Pflichtbewusstsein hatte ihn veranlasst, ihr, wenn auch unwillig, zu Hilfe zu kommen. Obwohl er sie verabscheute und sie ihn abscheulich fand, genoss er wahrscheinlich auf sehr seltsame Weise ihre Dankbarkeit.
Sie musste Esme beschwichtigen, die befürchtete, nun nicht mehr gebraucht zu werden.
“Danke, dass Sie bei mir bleiben wollen”, fügte sie hinzu. “Dafür bin ich Ihnen dankbar und werde das auch nicht vergessen.”
Esme errötete, knickste und verließ den Raum. Miranda nahm die Liste der am dringlichsten zu erledigenden Dinge zur Hand, konnte sich jedoch nicht darauf konzentrieren. Sie wurde dauernd durch die aus dem Korridor hereindringenden Geräusche abgelenkt, die Leos Invasionsarmee machte.
Sie würde sich bei Julians Vetter bedanken müssen. Diese Erkenntnis behagte ihr nicht. Schon am Vortag hätte sie ihren Dank aussprechen müssen. Aber auch er hatte sich nicht richtig benommen. Er war überheblich und rüde gewesen. Sein Benehmen entschuldigte jedoch nicht, dass sie sich so unhöflich benommen hatte. Eine wahre Dame hätte sich eisig höflich verhalten. Allerdings hielt er sie nicht für eine Dame, sondern für ihre flatterhafte, oberflächliche Stiefmutter, und sie hatte ihn in diesem Glauben gelassen, um ihn für seinen bei der ersten Begegnung begangenen Irrtum zu bestrafen.
Plötzlich überlegte sie, was er tun würde, wenn sie sich ihm gegenüber tatsächlich flatterhaft und oberflächlich gab. Vielleicht widerstand er ihr, oder er vergaß seine Hemmungen und ging auf einen Flirt mit der angeblichen “dekadenten Gräfin” ein. Miranda dachte an den Kuss, den er ihr im Hotel gegeben hatte, gestattete sich ein vielsagendes Lächeln und sagte sich, dass er wahrscheinlich mit ihr flirten würde.
Sie fand jedoch schnell in die Wirklichkeit zurück. Als ob er sich je auf einen Flirt mit jemandem wie Adela einlassen würde! Dafür war er viel zu gefühlskalt und auf Schicklichkeit bedacht. Ja, und sich seiner eigenen Bedeutung viel zu bewusst.
Leo war sich bewusst, dass er nicht unbedingt Pendle zu Adela hätte schicken müssen. Jeder andere Dienstbote wäre ebenso geeignet gewesen. Aber Pendle verlangte Perfektion, und es gab nicht viele Leute, die Perfektion ertrugen. Leo war sich darüber im Klaren, dass Pendle den Haushalt von “The Grange” im Nu in Ordnung bringen würde. Adela würde sich keine Sorgen mehr machen müssen. Er würde die Verängstigung und Verzweiflung, die sie flüchtig zu erkennen gegeben hatte, als er so unerwartet zu ihr gekommen war, nicht wieder in ihrem Gesicht sehen. Das war der Hauptgrund dafür gewesen, dass er den treuen Pendle zu ihr geschickt hatte.
Er hatte von ihr ein höfliches Schreiben erhalten, in dem sie sich bei ihm für sein Entgegenkommen bedankte. Sie hatte es mit “Miranda Fitzgibbon” unterschrieben, dem Namen, mit dem sie, wie Pendle ihm mitgeteilt hatte, angesprochen werden wollte. Der kurze Text war steif formuliert gewesen und hatte gar nicht zu der Frau gepasst, mit der Leo es bis jetzt zu tun gehabt hatte. Angewidert hatte er den Brief beiseitegelegt. Er wollte ihre Dankbarkeit nicht. Er hatte die Dienstboten nicht zu ihr geschickt, weil er mit Adelas Dankbarkeit rechnete. Ehrlich gesagt, begriff er selbst nicht ganz, warum er sich so verhalten hatte. Ihm war nur klar, dass sie ihn auf eine überraschend tiefe Art und Weise beeindruckte.
Tante Ellen hatte Kenntnis von seinem gedankenlosen, großzügigen Verhalten bekommen, vermutlich durch die Schwestern McKay, zwei berüchtigte Klatschbasen, die in bescheidenen Verhältnissen im Dorf lebten. Ellen hatte ihm einen Brief geschrieben, in dem so viel durchgestrichen und darüber geschrieben worden war, dass er manches gar nicht hatte lesen können.
Er hatte ihr geantwortet und angedeutet, er habe ein bestimmtes Interesse an Adela, und sie solle nicht auf Klatsch hören. Irgendwie hatte er der Tante wohl die Wahrheit geschrieben. Er war tatsächlich an Adela interessiert. Wenn sie ihm in Notzeiten dankbar für seine Unterstützung war, würde sie vielleicht auch seinen Vorschlag annehmen und das Land verlassen.
Aus der Ferne herüberdringende Stimmen lenkten ihn ab. Er
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