Miranda - so stolz und so süß (German Edition)
einem Mann, der viel beständiger und disziplinierter war als ihrer. Sie war jedoch gestorben, ehe sie diese Absicht hatte ausführen können, und Miranda war zu ihrem italienischen Abenteuer aufgebrochen. Nun fragte sie sich, ob sie angenommen habe, dort einen beständigen und ehrbaren Gatten zu finden. Zweifellos gab es viele solcher Männer, allerdings nicht unter denen, die in der Villa verkehrt hatten. Gelegentlich hatte Miranda daran gedacht, sich zu verheiraten, sich jedoch im Verlauf der Jahre damit abgefunden, für immer und ewig diejenige zu sein, die die häuslichen Krisen ihres in finanzieller Hinsicht gänzlich unfähigen Vaters und ihrer sich sorglos benehmenden Stiefmutter beheben müsse.
Sie hatte das Gefühl der Einsamkeit verdrängt und sich gesagt, sie könne wirklich von Glück reden, überhaupt ein Heim zu haben.
Und dann war der Vater gestorben, und alles hatte sich geändert. Julian hatte sacht und zurückhaltend, aber dennoch entschlossen die Kontrolle über ihre Zukunft übernommen. Jetzt war sie vierundzwanzig Jahre alt und Witwe, ohne je eine richtige Ehefrau gewesen zu sein, und obendrein die Eigentümerin eines großen, vernachlässigten Besitzes. Sie überlegte, ob ihre augenblickliche Situation so viel besser und sie weniger einsam sei als in Italien.
Unvermittelt sah sie in Gedanken Leos Gesicht vor sich und grübelte darüber nach, ob er ihre Einsamkeit lindern könne. Wahrscheinlich würde er das tun und sie dabei in den Wahnsinn treiben. Und dennoch gab es Augenblicke, in denen sie das eigenartige Gefühl hatte, sie beide passten gut zueinander. Das war ihr wirklich ein Rätsel, das sie vermutlich nie lösen würde.
Sie sah die Kirche schon von Weitem. Das Gotteshaus war für das Dorf viel zu groß und ließ deutlich erkennen, dass der Ort einst eine gewisse Bedeutung gehabt haben musste, jedenfalls bedeutsamer gewesen war als heutzutage. Der Gottesdienst hatte schon begonnen, als Miranda am Kirchenportal eintraf. Sie huschte in die Kirche und suchte sich im hinteren Teil einen Platz.
Die Predigt, auch wenn sie erbaulich war, dauerte viel zu lange. Um sich abzulenken, nutzte Miranda die Tatsache, dass sie im hinteren Teil der Kirche saß, und betrachtete die versammelte Gemeinde.
Miss Sophie Lethbridge und ihr Vater saßen vorn. Ein Herr, der größer war als Sir Marcus und hellbraunes Haar hatte, saß bei ihnen. Miranda überlegte, ob es sich bei ihm um Miss Lethbridges aus London eingetroffenen Bruder handeln mochte. Sie starrte seinen Hinterkopf an. Plötzlich drehte der Mann ihn halb zur Seite, hielt die Hand vor den Mund und gähnte.
Miranda lächelte. Also war sie nicht der einzige Mensch in der Kirche, der die Predigt als zu lang empfand. Die übrige Gemeinde bestand aus elegant gekleideten Damen und Landedelleuten sowie Dörflern in ihrem Sonntagsstaat. Zum Glück waren Mrs Bennett und ihr großer Anhang nirgendwo zu sehen. Vielleicht hatten sie es vorgezogen, in der Kapelle zu sitzen.
Miranda ließ den Blick durch das Innere des Gotteshauses schweifen und auf dem Grabmal mit der Figur eines Edelmanns in elisabethanischer Kleidung verweilen. Das Gesicht des Dargestellten erinnerte sie ein bisschen an Leos, obwohl sie sich den Grund dafür nicht erklären konnte.
Nach dem Ende des Gottesdienstes gelang es ihr, nah genug an das Grabmal zu kommen, um den im Sockel eingemeißelten Namen “Fitzgibbon” erkennen zu können. Vielleicht war der Abgebildete der Urahn der Fitzgibbons.
Im Kirchhof zeigten die Gottesdienstbesucher die Tendenz, noch zu verweilen. Sir Marcus war von zwei Damen aufgehalten worden. Miss Sophie Lethbridge eilte auf Miranda zu, und der braunhaarige Herr folgte ihr sichtlich unwillig. Wie Miranda vermutet hatte, war er Miss Sophies aus London zurückgekehrter Bruder Jack.
Er war ein gutmütig aussehender, attraktiver Mensch, auch wenn er ein ziemlich ausdrucksloses Gesicht hatte. Da Miranda schon seinen Vater und seine Schwester kannte und beide als angenehm empfand, hatte sie sich darauf gefreut, das dritte Mitglied der Familie kennenzulernen und es ebenfalls nett zu finden.
Miranda wurde enttäuscht. Seine Miene verdüsterte sich alarmierend, ganz so, als habe er sie bereits zuvor zu Gesicht bekommen, oder wisse schon, wer sie war.
“Oh!”, äußerte er. Dann nahm er sich zusammen. “Ich wollte sagen, sehr erfreut, Madam.” Widerstrebend verneigte er sich knapp.
Sophie war sofort erbost.
“Ich muss schon sagen, Jack! Du benimmst dich
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