Mirandas Monsterwelt
eigenen Maul auf…«
»Es reicht jetzt!«
Sie verstummte tatsächlich, um im nächsten Augenblick wieder in das andere Extrem zu fallen, denn abermals dachte sie an ihre Mutter und begann zu schluchzen.
Ich dachte darüber nach, wer diese Frau oder deren Geist wohl vernichtet haben könnte. Daß ich dafür nicht in Frage kam, stand fest.
Mir war sie nur aus Erzählungen bekannt. Aber wer konnte eine so mächtige Person vernichtet haben?
Eigentlich ging dieser Fall nur mich etwas an und keinen anderen. Allein hatte ich zum Moor fahren sollen, allein war ich gefahren, keiner mischte mehr mit…
Oder sollte Suko, dieser Teufelskerl, tatsächlich eine zweite Spur aufgenommen haben?
Zuzutrauen war ihm das, denn der Inspektor gehörte nicht zu den Menschen, die ihre Hände in den Schoß legten und andere für sich arbeiten ließen. Nein, er mußte immer aktiv sein, und sicherlich hatte er alles darangesetzt, um den verzwickten Fall von einer anderen Seite anzufassen. Ins Moor war er nicht gekommen, und so mußte er die Wohnung oder das Haus der Mortons ausfindig gemacht haben, denn dort befand sich schließlich der Spiegel, wie ich von Miranda wußte.
Sie hatte natürlich nicht gesehen, wie ihre Mutter umgekommen war, aber sie hatte deren Tod miterlebt. Innerlich zerrissen, vielleicht sogar die Qualen der Geistperson gespürt, mit der sie in einer so intensiven Verbindung gestanden hatte.
Die war nun gerissen.
Endgültig!
Ich atmete tief durch, bevor ich mich zu Miranda hin auf den Weg machte. Sie hockte nur mehr ein paar Schritte vor mir und hielt noch immer den Kopf gesenkt.
Ich zog sie hoch.
Willenlos ließ sie alles mit sich geschehen, und sie hing wieder einmal in meinem Griff. Meine linke Hand schob sich unter ihr Kinn und drehte den Kopf so, daß mich Miranda anschauen konnte.
Ihre Augen wirkten gläsern. Jegliches Leben war in ihnen erloschen. Wie eine Tote lag sie bei mir, und ich mußte sie dreimal ansprechen, bevor sie reagierte.
»Deine Mutter ist tot, und sie hat sich dieses Schicksal selbst zuzuschreiben. Wer sich mit den Mächtigen der schwarzen Magie einlast, kann einfach nicht gewinnen.«
»Sie war so stark!« flüsterte Miranda.
»O nein!« widersprach ich. »Stark ist nur der Mensch, der auch menschlich handelt, der andere leben läßt und seinen Nächsten akzeptiert. Aber nicht die Person, die sich auf die andere Seite stellt.«
»Man hat sie umgebracht…«
»Das weißt du genau?«
»Ja.«
»Wer war es?« Auf die nächste Antwort war ich gespannt. Sie würde mir verraten, wie fest das Band gewesen war, das sich zwischen Mutter und Tochter aufgebaut hatte.
»Bin Starker…«
»Den du nicht kennst?« fragte ich enttäuscht.
»Er ist mir unbekannt. Aber er war bei ihr. Er hat den Spiegel gesehen, auch das Gesicht meiner Mutter, und er hat beides zerstört.« Plözlich sprang sie hoch. Dabei entglitt sie natürlich meinem Griff und blieb zwei Schritte entfernt stehen, wo sie die Hände zu Fäusten ballte und ein neuer Kraftstrom durch ihre schmächtig wirkende Gestalt rann. Mir streckte sie den Arm entgegen und verzog ihr Gesicht zu einem haßentstellten Ausdruck.
»Du!« keuchte sie. »Du verdammter Lumpenhund trägst an allem die Schuld. Aber du wirst es bereuen. Er hat meine Mutter und den Spiegel vernichten können, doch nicht meine Welt. Mirandas Monsterwelt bleibt bestehen, und sie wird dich vernichten…«
Das letzte Wort hatte sie besonders deutlich gesprochen und sprang schon zurück.
Ich hätte sofort handeln sollen. So bekam sie eine Chance, die sie hastig ergriff. Denn wie ein Geistwesen jagte sie weg und tauchte hinein in den Dunst.
»Miranda!« Ich schrie ihr nach. Herrgott, dieses Mädchen mußte doch vernünftig werden.
Bestimmt hatte sie mich gehört, aber sie reagierte überhaupt nicht. Das war ihre Welt, hier fühlte sie sich wohl, und hier besaß sie auch die vier Helfer.
Irgendwo war sie stehengeblieben, umschwebt und umwoben von Dunstschleiern, die einen dünnen grünen Schein bekommen hatten. Sie war noch nicht so weit weg, als daß ich ihre Stimme nicht mehr vernommen hätte. »Meine Monsterwelt, John Sinclair, sie ist bei dir. Und sie wird dich vernichten…«
Danach hallte ihr Lachen über das nebelfeuchte Moor, und ich machte mich bereit, den Kampf gegen vier Monstren aufzunehmen…
***
Zwei Streifenwagen hatten Suko und Percy Morton verfolgt und beim Yard fast eingeholt, denn die rasende Fahrt durch London war natürlich nicht unbeobachtet
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