Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
Zeit war, dass der Junge innerhalb eines Jahres 14 kg zugenommen hatte. Sein Bauchumfang betrug nun einen Meter und er war erst knapp 14 Jahre alt! Die Eltern versuchten vergeblich, sein Essverhalten zu steuern und ihn zu sportlicher Betätigung anzuregen. Martin plünderte sogar nachts den Kühlschrank. Weil er so schwer geworden war, brachen sogar die Metallschienen an seinen Spezialschuhen, wenn er lief anstatt zu gehen. Die Klumpfußproblematik hatte sich seltsamerweise im vergangenen Jahr verstärkt. Auch der minimale unwillkürliche Stuhlabgang.
Ich war fassungslos. Wie viel Unglück kann ein Kind ertragen?
Das Buch war hier noch lange nicht zu Ende. Ich schloss es tief bewegt, der Rest blieb vorerst ungelesen. Mir war kalt geworden, ich war hungrig. Gerne hätte ich jetzt Miras „Trostnudeln“ gegessen, aber ich schob mir nur eine Tiefkühlpizza in den Ofen. Nach dem Essen ging ich ins Bett für ein Nickerchen und fiel in einen traumlosen Schlaf. Den Abend verbrachte ich allein vorm Fernseher und aß nebenbei zwei Schachteln Nougat leer. Was war nur mit mir los?
Die Geister der Vergangenheit
Am Sonntagmorgen wachte ich in gedämpfter Stimmung auf. Ich würde heute Frau Mertens gegenüberstehen. Aber was sollte ich ihr dann sagen? Ein „Danke fürs Lesen dürfen“ wäre nicht genug. Wie fühlte sie nach so vielen Jahren mit diesem Schicksal? Durfte ich sie auf den Inhalt des Buches überhaupt intensiv ansprechen?
Wir waren gegen 15 Uhr verabredet. Ich kaufte am Bahnhof einen großen Blumenstrauß für Frau Mertens, denn ich hatte ihr viel zu verdanken und wollte ihr eine Freude machen. Als ich schließlich Max vor der Tür des kleinen Landhauses parkte, wusste ich immer noch nicht recht, was ich sagen sollte. Ich öffnete das Gartentor und erfreute mich beim Durchgehen am Rosenduft. Auf mein Klingeln hin öffnete eine fremde Frau die Tür! Ich war mir aber sicher, vor dem richtigen Haus zu stehen.
„Hallo, Sie sind bestimmt die Melissa Fink“, sagte die Fremde, mehr als Feststellung denn als Frage. „Mira hat mich gebeten, Ihnen zu öffnen. Sie ist noch mit der Kundin beschäftigt. Kommen Sie rein!“ Mit einer einladenden Handbewegung trat sie in die Diele zurück und ich folgte ihr höflich dankend. Sie führte mich ins Wohnzimmer, bat mich, am gedeckten Kaffeetisch Platz zu nehmen, verschwand in einem kleinen Raum neben der Küche und kam mit einer großen Blumenvase zurück, die bereits mit Wasser gefüllt war. Ich dankte ihr dafür und öffnete das Papier unten, krempelte es etwas hoch und stellte die Blumen hinein.
„Mein Name ist Klara, ich bin eine Freundin von Mira und heute gekommen, weil ich ein Seelenbild malen werde für die Kundin, der Mira gerade die Tarotkarten legt“, erklärte die Fremde. „Wenn es Sie nicht stört, werde ich weiterarbeiten, bis Mira kommt. Sie ist noch im Gästezimmer“, fügte Klara erklärend hinzu.
Ich nickte und nahm wieder am Tisch Platz, der hübsch mit drei Kaffeegedecken bestückt war.
„Darf ich Ihnen vielleicht über die Schulter schauen? Ich habe noch nie ein Seelenbild gesehen, was ist das denn?“
„Sie wissen, dass Sie hier in einem, sagen wir, speziellen Haus sind?“ Klara grinste mich an. „Wird auch gern mal Hexenhaus genannt.“
Ich nickte.
„Okay, dann erkläre ich es Ihnen. Es ist eigentlich simpel. Ich stimme mich medial auf das Energiefeld des Kunden ein und sehe dann in mir Farben, Formen, manchmal auch Pflanzen oder Tiere. Das hat für die betreffende Seele, sagen wir mal, Symbolcharakter. Es ist eine Information enthalten, die subtil auf die Psyche einwirkt. Der Besitzer dieses Bildes fühlt sich wohler und gestärkt, wenn er es betrachtet, es ist absolut auf diese eine, einzigartige Seele abgestimmt. Selbst der Wohnraum dieses Menschen profitiert von der Ausstrahlung des Bildes und wirkt wiederum günstig auf den Menschen ein. Was ganz genau da am Werk ist, weiß ich selber nicht. Ich bin zu dieser Art von Malerei gekommen wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kinde. Es war mehr Zufall, dass ich dieses Talent entdeckt habe. Zuerst fertige ich eine Skizze der Vision an, nachdem ich den Auftraggeber kennengelernt habe, und in meinem Atelier übertrage ich dann das alles mit Ölfarben auf eine Leinwand.“
Bevor ich etwas antworten konnte, hörte ich, wie die Tür vom Gästezimmer geöffnet wurde. Die Beratung war wohl beendet. Die auffallend gut und teuer gekleidete Kundin kam mit Frau Mertens zusammen ins
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