Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
Arbeit in der Redaktion nahm dann meine ganze Konzentration in Anspruch und diese seltsame Vision von Mira schob ich weit von mir. Vielleicht war ja alles doch nur eine Art „Neuronengewitter“ im Hirn einer Alten mit beginnender Demenz. Möglich wäre es, ja, es war denkbar! Also belastete ich mich nicht länger damit.
Anfang August bekam ich eine Postkarte aus Sylt, sie war von meiner Mutter, die ihre Heimreise ankündigte und mich gern am kommenden Sonntag besuchen wollte. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden, denn seitdem Hardy sich von mir getrennt hatte, verbrachte ich meine Sonntage fast ohne Ausnahme faul und trübsinnig im Bett. Das musste mal aufhören! Und ein mütterlicher Besuch war durchaus geeignet, mir meinen Schlendrian auszutreiben, denn ich hatte auch das Putzen und Aufräumen weitgehend aufgegeben. Asche auf mein Haupt!
Am Tag vorher stürzte ich mich also in ein beherztes Großreinemachen und buk sogar einen Kuchen. Ich konnte genau eine Art von Kuchen backen, nämlich Fertigbackmischungen. Mutter brachte mir von der Sylter Schokoladenmanufaktur eine Sorte mit, die ich noch nicht kannte: Orange-Basilikum. Zusätzlich noch 1 kg „Friesenmischung“ von der Tee Company. Ich freute mich wirklich sehr darüber und nahm sie lange in den Arm. Seit der Trennung war ich so unglaublich anlehnungsbedürftig, so kannte ich mich selbst nicht.
„Wie geht es Tante Ursula denn so?“
Mutter winkte lachend ab. „Ach, du kennst sie ja. Wie immer tatkräftig und lustig. Mir wurde das jetzt zu viel, darum bin ich zurückgekommen. Ich liebe meine Schwester von Herzen, aber ich bin ihrem Unternehmungsgeist auf Dauer nicht gewachsen.“
Dann folgte ein zwanzig Minuten andauernder Bericht über die Sylter Prominenz, über das Wetter und die Lokalpolitik und natürlich, wie könnte man ihn unerwähnt lassen, über Onkel Walther. Mit „h“! Das betonte er bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Onkel Walther war ein Frühpensionär und Hypochonder, wie er im Buche steht, der die schillerndsten Krankheiten aufzuweisen hatte. Ich war jedes Mal fasziniert von seinem unfreiwilligen Einfallsreichtum.
„Woran leidet Onkel Walther denn zurzeit?“
„Oh, diesmal ganz was Besonderes: Chikungunya-Fieber!“
„Bitte, was für ein Fieber?“
„Schii-kun-gung-jah-Fieber. Er klagt über Kopfweh, Muskel- und Gelenkschmerzen und anderes mehr. Der Nachbar war in Urlaub auf Malaysia. Und nun glaubt Onkel Walther, dass er im Flugzeug bzw. in seinem Gepäck Stechmücken aus Malaysia mitgebracht hat, die dieses Fieber übertragen.“
„Alle Achtung, Onkelchen übertrifft sich selbst. Und was sagt Tante Ursula dazu?“
„Sie sagt, dass er eine ganz gewöhnliche, leichte Sommergrippe hat und dass die roten Flecken auf seiner Haut eher vom neuen Waschpulver kämen.“
Ich musste herzhaft lachen und sah die beiden im Geiste vor mir. Als Kind hatte ich ein paar Jahre lang immer einige Sommertage in den großen Ferien bei ihnen verbracht. Das war eine tolle Zeit gewesen. Ich mochte die beiden sehr.
Mutter nahm sich noch ein Stück Nusskuchen und fragte mich dann vorsichtig nach Hardy. Ich erzählte ihr vom Einschreiben, aber nicht, wie sehr mich die Trennung belastete. Um von diesem Thema wegzukommen, erzählte ich ihr dann von Mira, meinem kleinen Unfall mit dem Steindrachen, dem Fieber und dem Kaffeetrinken mit der Seelenbildmalerin.
„Du lernst durch deinen Beruf wirklich interessante Leute kennen, Melli. Ich hatte mich schon gewundert über deine Stirn, du hast da noch einen grüngelben Fleck.“
„Ja, da hat mich Thaddäus geküsst.“
„Wie, hast du schon einen neuen Freund?“
Ich musste lachen. „Nein, der Steindrache heißt Thaddäus. Übrigens, als Mira und ich auf der Gartenbank bei Thaddäus saßen – das war, als es mir besser ging, beim zweiten Besuch, da ist etwas Seltsames geschehen. Ich sagte dir ja, dass die Mira Teil meiner Reportage über Frauen mit besonderen Fähigkeiten ist.
Also, als wir da so saßen, da hatte sie eine Art Vision. Und angeblich war die für mich bestimmt! Warte mal, ich habe das in Stichpunkten aufgeschrieben. Ich hol´ eben den Zettel.“
Ich wühlte in meiner Schublade auf der Flurkommode. Weil ich gestern bei meiner heroischen Aufräumaktion dort einiges wahllos reingestopft hatte, dauerte es ein Weilchen, bis ich den nunmehr zerknüllten Zettel in der Hand hielt.
„Bin gespannt, was du dazu sagst. Ich lese es dir vor:
Miras Engel spricht von einem Schutzgeist für
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