Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
sagen.
Interessanterweise hatte nach dem Lavendelhaus-Traum niemand mehr unverhofft an ihre Tür geklopft und nach „dem Medium“ oder der „Dorfhexe“ gefragt.
Reisezeit!
Erschöpft, aber zufrieden warf ich meinen Koffer auf mein Bett und schleuderte die Schuhe von meinen Füßen. Eine Woche Sylt lag hinter mir. Es war eine richtig gute Woche gewesen mit Mutter, Onkel und Tante. Wir hatten viel miteinander gelacht, hatten uns auf ausgedehnten Spaziergängen den kalten Wind um die Ohren wehen lassen und genossen danach einen steifen Grog oder erwärmten Gewürztraminer und dazu Spekulatius.
Meiner Mutter ging es gut, sie schien mit sich im Reinen zu sein. Selbst Onkel Walther fühlte sich einigermaßen gesund, und Tante Ursula war wie in all den Jahren zuvor ein Ausbund an Energie. Meine kleine Familie war also wohlauf. Onkel und Tante hatten etwas ausgeheckt, was sie mir ganz im Vertrauen mitteilten. Sie platzten förmlich vor Eifer. Ich musste hoch und heilig versprechen, Mama von der Überraschung nichts zu erzählen. Sie hatten nämlich Karten für vier Personen für eine kleine Nordeuropakreuzfahrt über Weihnachten/Neujahr organisiert. Sie liebten Skandinavien. Nun stellte sich die Frage, ob ich mitfahren wollte oder ob sie den netten, verwitweten Nachbarn einladen sollten. Natürlich ganz ohne Hintergedanken, was meine ebenfalls verwitwete Mutter anging, selbstverständlich keine Hintergedanken, nein, nein. Onkel und Tante machten Gesichter wie zwei Verschwörer.
Ich gönnte ihnen nur zu gern ihre kleine Intrige und hoffte, dass alle vier nette Tage haben würden. Ehrlich gesagt, war ich sogar erleichtert. Nichts gegen eine Skandinavien Tour, aber ich wollte meine Zeit lieber mit Valerius verbringen. Ich hatte nicht gewusst, wie ich das meiner Mutter beibringen sollte, dass ich Weihnachten gar nicht auf Sylt sein wollte. Sie wusste ja noch gar nichts von Valerius, und auch Onkel und Tante ließ ich im Unklaren über meine eigenen Pläne und versicherte ihnen gekonnt geheuchelt meinen heroischen Verzicht auf die Kreuzfahrt zugunsten zweier einsamer Herzen, die noch nichts von ihrem Glück wussten.
Nun war ich also wieder zuhause, befreit von Familienpflichten, die ein Jahresende mit sich bringt.
Für den Nikolaustag hatte ich Valerius aus Sylt eine große Schachtel Nougat mitgebracht. Für mich allerdings auch eine. Die wollte ich noch heute feierlich eröffnen. Und vielleicht sogar leer futtern.
Und morgen brach meine letzte Arbeitswoche an, danach war „Schicht im Schacht“. Urlaub bis zum Jahresende. Und dann? Tja, wie es aussah, war ich ab 1. Januar ein Fall für die Statistik der ARGE.
Ich genoss meine Stunden mit Valerius. Meistens vermieden wir es, über das kommende neue Jahr zu sprechen. Was sollte, was konnte aus unserer Liebe werden? Wie oft würden wir uns sehen können in der Zeit seines Studiums? War unsere Liebe stark genug, die vielen, vielen Kilometer zwischen uns zu überwinden? Fragen über Fragen, aber keine Antwort. Valerius hatte mal zu mir gesagt, wenn er mich viel eher kennengelernt hätte, wäre er wohl nicht nach Australien zum Studium gegangen. Doch er stünde nun so kurz vor dem Erreichen seines Lebenstraumes – jahrelang hätte er mühsam darauf hingearbeitet, und er könne sich selbst um meinetwillen jetzt nicht dazu entschließen, alles fallen zu lassen. Er bat mich um Geduld, er bat mich um Verständnis, dass er die Chance seines Lebens ergreifen wollte. Auch wenn dies bedeuten würde, dass wir uns vorübergehend trennen mussten. Was sind schon drei Jahre, im Hinblick auf ein ganzes Leben?
Wir verbrachten bald nach meiner Rückkehr einen heimeligen Adventsnachmittag mit Mira. Ich hatte ihr eine kleine, selbst verzierte Kerze als Geschenk mitgebracht, die sie sichtlich erfreut entgegennahm. Valerius hatte ihr einen kleinen Engel aus Holz geschnitzt, in einer klaren, schlichten Formgebung. Erstaunt nahm ich sein Talent zur Kenntnis. Ich merkte, wie wenig ich eigentlich von ihm wusste. Mira bewirtete uns mit echtem Plumpudding und Brandybutter und köstlicher Rotweinschaumsoße. Sie erzählte uns, dass er schon mehrere Wochen Zeit zum Reifen gehabt hätte. Ich hatte noch nie zuvor selbstgemachten Plumpudding gegessen und war überrascht, wie gut und sättigend er war. Während wir drei bei Kerzenschein und gefüllten Tellern zusammensaßen und plauderten, kam der Winter ins Land. Es schneite große Flocken und es war wunderschön
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