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Mischpoche

Titel: Mischpoche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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beständiges Schikanieren zu einer Verzweiflungstat aufgestachelt hatte. Gleichfalls geschah es immer wieder, dass der Verbrecher einfach schwachsinnig war und die Tragweite seines Tuns gedanklich gar nicht erfassen konnte. Doch Gewalttat blieb Gewalttat, vor der Polizei waren tatsächlich alle, die das Gesetz brachen, gleich. Und daher hatten eben auch allfällige Emotionen seitens der Behörde zu unterbleiben. Im Strafrecht gab es eben nur Schwarz oder Weiß, da war kein Platz für Grautöne. Entweder, jemand hatte eine Untat begangen, oder er hatte sie nicht begangen. Und wenn er sie begangen hatte, dann war er schuldig. In welchem Ausmaß er das war, hatte den Polizisten nicht mehr zu interessieren. Das musste das Gericht entscheiden.
    Bronstein war ehrlich überrascht über seinen philosophischen Gedankenflug. Er hätte ihn gleich mitschreiben sollen, denn das wäre ein hervorragender Vortrag für die Polizeischule gewesen.
    Und Vorträge zu halten hatte er wahrlich genug. Jede Woche trafen – immer noch – neue Polizeiangehörige aus allen Ecken und Enden der ehemaligen Monarchie in Wien ein, die auf ihren unkündbaren Beamtenstatus beim Ministerium des Inneren pochten. Als die Regierung Renner damals zugesichert hatte, jeden Staatsdiener, der es wünschte, weiterhin in Dienst zu halten, mochte niemand damit gerechnet haben, dass die Betroffenen dieses Versprechen ernst nahmen. Doch mittlerweile arbeiteten in den Reihen der Wiener Polizei mehr Provinzler als Wiener. Allesamt waren sie stramm deutschnational, schmetterten bei jeder Gelegenheit ›Lieb Vaterland magst ruhig sein‹, und alle hießen sie Kapuszczak, Narutinsky, Woprschalek oder Szentszerenyi. Und sie redeten so, wie sie hießen. Selbst Pokorny vermochte aus ihnen nicht schlau zu werden. »Doch, doch«, pflegte er dann immer zu sagen, »ich glaub ihnen schon, Herr Kollege, dass Sie Deutsch reden. Es ist halt nur nicht das Deutsch, das ich verstehe.« Bronstein hatte da schon weit weniger Geduld mit Germanias Zier: »Die wollen die Wacht am Rhein singen?«, hieß es von seiner Seite, »denen sing ich sie. Aber gach a no!«
    Und als wäre ihre seltsame Sprache und ihre protzige Deutschtümelei noch nicht schlimm genug, war Bronstein Woche für Woche gezwungen, sich mit diesem von der Weltgeschichte vergessenen Haufen im Wege der Ausbildungskurse auseinanderzusetzen. Vergeblich appellierte er immer und immer wieder an seine Vorgesetzten, diese verkrachten Dorfgendarmen bloß nicht in den Außendienst zu lassen, doch deren Replik, was sollten diese Kollegen im Innendienst, da müssten sie Akten lesen, und das sei bei Weitem das größere Problem, hatte zu Bronsteins Bedauern sehr viel für sich.
    Seitdem waren also die Kapuszczaks, Narutinskys, Woprschaleks und Szentszerenyis der Stolz der Wiener Sicherheitsdirektion. Und so kam es, dass einer von ihnen, Siegfried Kapuszczak aus Stanislau, bei Bronstein vorstellig wurde.
    »Härr Leitnont, Oberleitnont, Härr! Bin gangen von Revier zu Tatort, weil gerufen dort zu gehen. Opfer lebt, aber verletzt schwer.«
    »Sagen S’ einmal, wollen S’ mich pflanzen?«
    »Pflanzen? Bitte, nicht verstehe, was meint!«
    Bronstein atmete tief durch. »Welches Revier, welcher Tatort? Wer hat was gerufen?«
    In Kapuszczak schienen die richtigen Zahnräder ineinanderzugreifen.
    »No, Bezirk Chitzing. Tatort Zechetna Ulic… Gosse. Gerufen hat, bitte schen, Telefon.«
    »Aha«, Bronstein rekapitulierte, dass es sich um die Zehetnergasse im 13. Wiener Gemeindebezirk handeln musste. Und das Bezirkskommissariat Hietzing war offensichtlich benachrichtigt worden, dass es dort zu einer Gewalttat gekommen war. Weshalb ihn dies etwas angehen sollte, wo das Opfer doch offensichtlich lebte, verstand er allerdings nicht. Die Mordkommission kontaktierte man, im wahrsten Sinne des Wortes, wenn ein Mord vorlag. Und das schien ja wohl nicht der Fall zu sein. Wenn bei jeder Wirtshausschlägerei mit Verletzten die Abteilung Leib und Leben ausrücken würde, dann käme er nie mehr dazu, einen Aktendeckel zu schließen.
    »Und was geht uns das an?«, bellte er ins Telefon.
    »Bitte schen, ist versuchte Mord.«
    »Sagt wer?«
    »Sagt Opfr!«
    Bronstein verdrehte die Augen und flehte zu Gott, er möge ihn mit Geduld segnen. Dann blickte er auf die Uhr. In wenigen Minuten war es vier. Den gemütlichen Nachmittag im Schweizerhaus konnte er vergessen. Dabei war es so ein schöner Tag!
    »Pokorny!« Bronsteins Stimme donnerte durch den

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