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Mischpoche

Titel: Mischpoche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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doch zu peinlich, wenn ein Staatsbeamter einen Dolmetscher für die Staatssprache benötigen würde.
    Unvermittelt wurde er aus seinen Gedanken gerissen. »Da ist jemand für Sie, Herr Oberleutnant«, sagte der Bürodiener. Bronstein bedeutete ihm, die betreffende Person vorzulassen. Ein unscheinbares Ding von leidlich 20 Jahren kam in devoter Haltung auf ihn zu. Die Frau wartete, bis sie mit Bronstein allein im Raum war. Dann kramte sie in ihrem Korb herum und zog ein abgewetztes Stück Papier hervor. »Das soll ich Ihnen bringen«, flüsterte sie und reichte es ihm über den Tisch.
    Bronstein schlug das Kuvert auf und registrierte, dass er einem Schlaganfall näher war als einem geregelten Herzschlag. Seine Augen blickten auf eine Korrespondenzkarte, die vor über einem Jahr im ukrainischen Tarnopol abgestempelt worden war. Mit zittrigen Fingern, für die ihn selbst Matauschek auf der Liesl bedauerte hätte, las er die wenigen Worte, die dort geschrieben standen.
    »Lieber David. Es geht mir gut. Mach Dir keine Gedanken. Sobald die Stürme sich gelegt haben, sehen wir uns wieder. Wir leben in spannenden Zeiten. Nutzen wir sie. Ich liebe Dich! Deine stets an Dich denkende Jelka.«
    Er schloss die Augen und spürte, wie sich zwei dünne Bäche ihren Weg über seine Wangen bahnten. »Ich hab das alles ned wollen«, dachte er.
     
     

1921: Tödlicher Mulatság
    »Kollege, gut, dass ich Sie treff’! Ich wollte g’rade zu Ihnen.«
    Bronstein sah verwirrt auf. Er war, bewaffnet mit einem Bündel Akten unter dem Arm, eben im Begriff, die zuletzt aufgearbeiteten Fälle ins Archiv zu bringen, und hatte nicht im Traum daran gedacht, dass der Leiter des Staatspolizeilichen Büros ihn ansprechen würde. Ja, er hätte nicht einmal gedacht, dass dieser ihn überhaupt kannte. Umso verwunderlicher war die Anrede gewesen.
    Bronstein blieb abrupt stehen und sah den Spitzenbeamten möglichst devot an. »Herr Hofrat, ich muss zugeben, das ist, nun, ein wenig überraschend.«
    »Gell«, lachte Bronsteins Gegenüber, »aber wir haben einen sehr heiklen Auftrag zu erledigen, und man sagte mir, dafür wären genau Sie der Richtige.«
    »Na, wenn das so ist, Herr Hofrat …, die Akten können warten. Wenn ich Sie bitten dürfte, mir zu folgen.« Bronstein machte kehrt und geleitete den obersten Staatspolizisten in sein kleines Büro am Ende des Korridors. Umständlich, er hatte ja immer noch das Dokumentenkonvolut unter dem Arm, öffnete er die Tür und bat seinen hohen Gast hinein. Drinnen sah Pokorny erschrocken auf, doch eine kaum merkliche Bewegung des staatspolizeilichen Hauptes signalisierte ihm, er solle sich schleunigst rarmachen. Eine Aufforderung, der Pokorny nur allzu gerne nachkam.
    Einen Augenblick später saß Bronstein an seinem Schreibtisch und sah seinen Besucher erwartungsvoll an.
    »Was wissen Sie, Kollege, über Ödenburg?«, begann dieser vorsichtig.
    »Na ja«, antwortete Bronstein nicht minder verhalten, »es gehört endlich wieder uns.«
    »Wollen wir es hoffen«, seufzte Bronsteins Visavis, und Bronstein wusste selbstverständlich, worauf dieser Satz anspielte. Zwar hatten die Venediger Protokolle im vergangenen Oktober das gesamte ehemalige Westungarn Österreich zugesprochen, welches das Gebiet auch Anfang des Monats in Besitz genommen hatte, doch just in der vorgesehenen Hauptstadt Ödenburg stand noch eine Volksabstimmung aus, deren Ausgang darüber zu entscheiden hatte, ob Ödenburg bei Österreich verblieb oder aber an Ungarn übergeben werden musste. »Wie auch immer«, fuhr Bronsteins Gast fort, »derzeit verwalten wir dieses nette Städtchen. Und wir mussten feststellen, dass offenbar nicht alle in diesem Städtchen nett sind. Gestern gab es einen Mord. Einen ziemlich üblen sogar, wie es scheint.«
    »Aha«, machte Bronstein und fragte sich dabei, was ihn diese Tatsache angehen sollte.
    »Nun, wie Sie sich vorstellen können, Kollege, sind wir auf so etwas ganz und gar nicht vorbereitet dort unten. Wir sind ja erst vor einer Woche in Ödenburg eingerückt, und derzeit haben wir dort nur ein Regiment Soldaten und eine Handvoll Landgendarmen stationiert. Von denen weiß kein einziger, wie er mit einem Mordfall umgehen soll.«
    Allmählich begann Bronstein zu dämmern, weshalb er aufgesucht worden war.
    »Sie meinen also, Herr Hofrat …«
    »Ich hab’s doch gewusst, Braunstein, dass Sie Ihr Vaterland nicht im Stich lassen.« Bronsteins Wange zuckte irritiert, und er überlegte einen Augenblick, ob er

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