Mischpoche
Droschke zu nehmen, doch da man ihm versicherte, es seien keine zehn Fußminuten in die Stadt, und er praktisch kein Gepäck mit sich führte, beschloss er, sich Schusters Rappen anzuvertrauen.
Ödenburg selbst ließ noch recht genau die alte Stadtmauer erkennen, und mit seinen knapp 30.000 Einwohnern war es auch noch nicht sonderlich über diese hinausgewachsen. Das Ensemble prägten eine gotische Kirche, ein Gebäude, das Bronstein für ein Kloster hielt, und einige barocke Bürgerhäuser. Tatsächlich fand sich in unmittelbarer Nähe des Gotteshauses ein kleines Palais, auf dem ein Schild davon kündete, dass hier das ›Hotel Bauer‹ untergebracht war. Bronstein hielt darauf zu und betrat das Haus.
»Guten Tag zu wünschen. Major Bronstein. Ich müsste avisiert sein«, begrüßte er den Mann, der gelangweilt an der Rezeption lümmelte.
Dieser schnellte wie eine Feder hoch und mimte sofort rege Geschäftigkeit.
»Aber selbstverständlich, Herr Major! Herr Major sind uns schon ave …, avi …, sind uns schon angekündigt worden. Zimmer 1. Das allerbeste des ganzen Hauses. Mit direktem Blick auf St. Ursula. Herr Major werden zufrieden sein.« Dann wandte sich der Portier ab und rief in den hinteren Teil des Hauses laut und vernehmlich: »Ferenc!« Mit entschuldigender Miene richtete er sodann seine Aufmerksamkeit wieder auf Bronstein aus: »Wenn wir in irgendeiner Weise behilflich sein können, dann zögern Sie bitte nicht, es uns wissen zu lassen.«
»Schon recht«, brummte Bronstein und legte eine passende Summe auf den Tresen, welche der Mann eilfertig einstreifte. »Ich werd’ mich erst ein bisserl frischmachen, dann werde ich diese Grabenrunde absolvieren, von der hier jeder spricht, und dann wünsche ich zu speisen.«
»Das können Herr Major getrost hier erledigen. Wir sind auch im Hinblick auf unsere Küche das beste Haus am Platz.«
»Na, wenn das so ist, dann sagen Sie dem Koch, ich bin um 6 gestellt. Und wahrscheinlich diniere ich nicht allein, denn Ihre Aufgabe, guter Mann, wird es sein, mir den Postenkommandanten und den Kommandierenden des hierortigen Regiments einzubestellen.«
»Keine Sorge, Herr Major, Ferenc wird sich darum kümmern.«
Wie auf’s Stichwort kam ein kleiner Junge von etwa 12, 13 Jahren angeschossen, begierig, Bronsteins Gepäck aufzunehmen. Als er aber nirgendwo Koffer sah, blickte er verwirrt um sich, und seine Arme hingen schlaff vom Körper.
Bronstein lächelte. »Ist schon gut, ich hab’ gar kein Gepäck bei mir. Aber da hast für deinen guten Willen, und dafür, dass du danach machst, was dir der Herr Portier anschafft.«
Ferenc blickte auf die Kronen, dann auf Bronstein und nickte dankbar. Bronstein lächelte und ließ sich dann den Weg zu seinem Quartier weisen. Ehe er in den ersten Stock hochstieg, fragte er noch nach den vorhandenen Zeitungen, doch außer dem ›Pester Lloyd‹ war, wie sich zeigte, kein Blatt vorrätig. Resigniert nahm er selbiges an sich und anschließend die Treppe.
»Na servus«, dachte er sich, nachdem er die Zimmertür geöffnet hatte, »wenn das das beste Haus am Platz ist, dann möcht’ ich nicht wissen, wie die anderen ausschauen.« Tatsächlich war der Raum beengend klein und wies gerade ein schmales Bett samt Nachtkästchen auf. An der gegenüberliegenden Wand stand ein einfacher Holztisch samt Sessel, daneben fand noch ein ebenso hölzerner Spind Platz. Das einzige Fenster wies zwar tatsächlich in Richtung Kirche, doch war es so klein, dass es kaum Licht ins Innere ließ. Was Bronstein umso mehr auffiel, als es nun bereits merklich dunkelte, sodass er sich die Frage stellte, ob er wirklich noch einen Spaziergang unternehmen sollte.
Die diesbezügliche Entscheidung war rasch gefällt. Er ließ sich auf das Bett fallen und begann, im ›Lloyd‹ zu schmökern. Ein erster Blick überzeugte ihn davon, dass es sich um die Ausgabe des 7. Dezember handelte, also tatsächlich vom Tage war. Mit etwas Glück, so dachte er, würde er bereits eine Notiz über den Mordfall finden, sodass er bei seinem Treffen mit den örtlichen Behörden nicht mehr vollkommen ahnungslos war. Doch seine Suche schien nicht von Erfolg gekrönt. Ihn erstaunte der umfassende auslandspolitische Teil, der ihm sogar mitteilte, dass in Jugoslawien der Achtstundentag eingeführt, dass in London Engländer und Iren über einen Ausweg aus dem Unabhängigkeitskrieg verhandelten und in der Schweiz ein Sozialist namens Klöti Parlamentspräsident geworden war, er erfuhr
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