Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mischpoche

Titel: Mischpoche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
zudem alles über die Liquidation der Besitztümer des Königs, wie man Kaiser Karl im ehemaligen ungarischen Reichsteil beharrlich titulierte, und über die komplizierten Verhandlungen der Koalitionsparteien in der Budapester Zentralregierung, doch zum Mordfall in Ödenburg war keine Zeile zu finden. Mehr noch, obwohl es bis zur Volksabstimmung nur noch wenige Tage waren, vermied das Blatt überhaupt jeden Hinweis auf die umstrittene Stadt.
    Dachte er jedenfalls.
    Umso erstaunter war er, als die politische Propaganda zum Thema auf der dritten Seite voll einsetzte. Warum hatte er auch von hinten zu lesen begonnen, schalt er sich. Wie einen doch das Wort ›Lokalnachrichten‹ in die Irre führen konnte! Doch nach der Lektüre der vier Artikel, die sich des Themas Ödenburg angenommen hatten, war er auch nicht klüger. Die ungarische Seite beklagte unfaire Einmischung der Österreicher, welche die Abstimmung in ihrem Sinne mittels Flugzetteln zu beeinflussen trachteten. Bronstein kannte diese politischen Spielchen, und sie ermüdeten ihn schon in Wien. Da brauchte er nicht auch noch derartige Aufführungen auf anderen Schmierentheatern über sich ergehen zu lassen.
    Mittlerweile hatte die Dunkelheit endgültig über den Tag obsiegt, und Bronstein beschloss, sich noch ein wenig die Beine zu vertreten, ehe er die beiden Männer im Restaurant zu empfangen gedachte. Die empfindliche Kälte trieb ihn jedoch rasch in sein Hotel zurück, und so verkürzte er sich die Wartezeit mit einem Schnaps und einigen Zigaretten.
    Eine Stunde später waren die beiden Amtsträger, um deren Erscheinen er ersucht hatte, bereits in voller Fahrt. Der Armeeoffizier beschränkte sich auf eine allgemeine Einschätzung der Lage, die Ausführungen zum eigentlichen Grund von Bronsteins Anwesenheit überließ er dem Gendarmen.
    »Also, wir haben den Toten gestern gegen 10 Uhr abends gefunden«, begann dieser. »Hermann Bürkl, 45, ein örtlicher Tabakverschleißer und Kurzwarenhändler.«
    »Kurzwarenhändler?«, fragte Bronstein.
    »Na ja, er hat Knöpfe, Nadeln, Zwirn und solche Sachen verkauft. Dazu hat er aber eben eine Trafikkonzession besessen.« Bronstein nickte.
    »Wir glauben natürlich, dass Bürkls Ermordung etwas mit der Volksabstimmung zu tun hat, denn der Bürkl hat sich sehr für einen Verbleib von Ödenburg bei Österreich eingesetzt. Dementsprechend verhasst war er der ungarischen Seite.«
    Bronstein nickte abermals: »Und wie ist er jetzt genau umgebracht worden?«
    »Ich habe mir schon gedacht, Herr Major, dass Sie das fragen werden. Darum habe ich gleich heute Vormittag den Bericht zusammengestellt.« Der Gendarm übergab Bronstein einen Pappendeckel, in dem sich zwei Seiten beschriebenen Papiers befanden. Bronstein begann sofort, deren Inhalt zu studieren.
    Demnach war Bürkl hinterrücks mit einem spitzen, scharfen Gegenstand erstochen worden. Die Tatwaffe war links unterhalb der Rippen in den Körper eingedrungen und dabei steil nach oben direkt ins Herz vorgestoßen. Der Mann war wohl verhältnismäßig schnell verblutet. Anhand der Wunde könne man aber nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es sich nun um ein Messer, ein Bajonett oder einen sonstigen Gegenstand handelte, der Bürkls Lebensfaden jäh durchtrennt hatte. »Wahrscheinlich war’s eine Stricknadel«, gab Bronstein glucksend von sich. Die beiden anderen sahen ihn verwundert an. »Na ja«, erklärte er, »weil der Mann doch Kurzwarenhändler war.«
    Er war sichtlich der Einzige, der dieses Bonmot belustigend fand.
    »Nun gut«, fuhr er daher aufgeräumt fort, »was muss ich über ihn wissen?«
    »Äh, wie meinen S’ das jetzt?«
    Bronstein beeilte sich, die Scharte mit der Stricknadel wieder auszuwetzen: »Na, war er verheiratet, hatte er Kinder, betrieb er sein Geschäft allein oder gibt’s da Angestellte. Sein Umfeld, meine Herren! Sein Umfeld. Das ist fast immer der Dreh- und Angelpunkt eines Verbrechens! Haben Sie sich da noch nicht umgetan?«
    Der Gendarm und der Offizier sahen sich an und zuckten gleichzeitig mit den Schultern. Dann wendeten sie sich synchron Bronstein zu: »Wozu? Den haben sowieso die Ungarn g’macht!«
    Bronstein mimte den Erstaunten. »Ah so? Und wie kommen Sie zu dieser Erkenntnis?«
    »Na, das haben wir Ihnen doch schon g’sagt. Der Bürkl war der Leiter des hiesigen Agitationsbüros.«
    »Und das heißt jetzt nachher was?«
    »Na, er hat die Aktivitäten der österreichischen Seite koordiniert, die was auf die Beibehaltung des

Weitere Kostenlose Bücher