Mischpoche
wirklich!«
Pokorny wusste, wer ob der amtsinternen Hierarchie am längeren Ast saß, und schluckte eine allfällige Antwort mannhaft hinunter. Bronstein zündete sich eine Zigarette an und sah versonnen aus dem Fenster. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, vorschnell Pokorny mit diesem Auftrag zu betrauen? So hatte er sich um das Vergnügen gebracht, der Lang gleich noch einmal die Aufwartung zu machen. Allerdings hatte er ihr so eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wer hier der Chef war. David Bronstein, Herr über eigene Legionen! Nun, zumindest war Pokornys Leibesfülle überdimensional. Und die Zahl seiner schlechten Anekdoten war in der Tat Legion. Auf jeden Fall wusste die holde Dame nun, dass David Bronstein jemand war, der anderen Arbeit anschaffen konnte, der also auch ein gnädiger Herr war.
Und wenn, was zu erwarten war, der komische Kauz einfach nur ein komischer Kauz mit einem seltsamen G’schau war, dann konnte er, Bronstein, sich beizeiten beim Fräulein Lang erkundigen, ob alles zum Besten stünde. Auf diese Weise war es möglich, Kontakt zu halten und diesen allmählich, langsam, Schritt für Schritt zu intensivieren. Das Fräulein Lang neigte offensichtlich zur Ängstlichkeit, und beim nächsten Mal, wenn sie wieder ihren Bettauer bedroht sah, schlug dann seine Stunde. Da konnte er dann gönnerhaft sagen: Wissen S’ was, gnädiges Fräulein, diesmal kümmere ich mich persönlich um die Sache. Mit einer solchen Haltung musste er der Lang einfach als Held erscheinen.
Und sie hatte den angenehmen Nebeneffekt, dass man den Bettauer vielleicht bei Gelegenheit fragen konnte, ob das Fräulein Lang vielleicht in irgendeiner Weise zu begeistern wäre. Warum fiel ihm bloß gerade jetzt Wagners Lohengrin ein? Merkwürdig!
Doch alsbald trat ein anderes Bild von Wagner in Bronsteins Gehirn. Tannhäuser übernahm die Vorherrschaft, konkret die Burg Schreckenstein bei Aussig an der Elbe. »Ich geh’ jetzt einmal in die Kantine«, sagte er und erhob sich. »Freudig begrüßen wir die edle Halle!«
Kein Liebeslodern vermochte solche Gefühlsstürme auszulösen wie ein gut zubereiteter Tafelspitz mit Apfelkren.
Gut gelaunt kehrte er aus der Kantine zurück, war jedoch auch weiterhin nicht in der Lage, sich auf die Akten zu konzentrieren, die ihn beschäftigt hatten, ehe das Fräulein Lang sein Büro betreten hatte. Warum nur? Natürlich! Weil ihm der Pokorny jedes Mal, wenn er den Blick hob, ins Auge sprang, woraufhin er sofort wieder an die Lang denken musste. Instinktiv blickte Bronstein auf die Uhr. Es war knapp nach eins.
»Weißt was, Pokorny«, begann er, »damit du siehst, dass ich kein Unmensch bin: gönn dir eine Pause. Am besten, du gehst ordentlich was essen. In einer guten Stund’, na, sagen wir, so um halb drei, meldest dich wieder bei mir, und dann gehst mir in die Lange Gasse. Ist das eine Red’?«
»Ja, Major, das lass ich mir g’fallen.«
Na bitte, dachte Bronstein nach einer kleinen Weile. Aus den Augen, aus dem Sinn. Also, wie war das da jetzt noch einmal mit diesem Aktenberg da?
Verabredungsgemäß erschien Pokorny Schlag 14 Uhr 30 wieder im Büro, und Bronstein schärfte ihm ein, sich sofort fernmündlich zu melden, falls irgendetwas vorfallen sollte. Erschiene die beschriebene Gestalt jedoch bis zum Ende der Sprechstunde, also bis 5 Uhr nachmittags, nicht, dann könne er ohne Umschweife nach Hause gehen, denn eines Berichts brauche es dann ja nicht. Pokorny nickte und machte sich auf den Weg.
Ehe er sich wieder seinen Akten widmete, überschlug Bronstein noch, wie lange Pokorny für den Weg in die Lange Gasse brauchen würde. Mit der Ringlinie zur Bellaria waren es inklusive Wartezeit knappe zehn Minuten, von dort ging dann jemand von Pokornys Statur nochmals etwa zehn Minuten bis zur Redaktion. Selbst wenn er also trödelte, der Pokorny, würde er immer noch zehn Minuten vor drei an Ort und Stelle erscheinen. In dieser Hinsicht stand also nichts zu befürchten, befand Bronstein und konnte nun tatsächlich sein Aktenstudium endlich wieder aufnehmen.
Zwanzig Minuten später läutete das Telefon. Bronstein dachte sich nichts dabei, außer vielleicht, dass es sich nicht um Pokorny handeln konnte, denn der war sicher noch auf dem Weg in den achten Bezirk. Umso erstaunter vernahm er die Stimme seines Mitarbeiters.
»Du, Major, ich fürcht’, da hat’s was …«
»Pokorny, du sprichst in Rätseln. Wo hat’s was?«
»Na da, in der Lange Gasse …«
Bronstein war erstaunt:
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