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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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beide heute etwas geknickt über die Flure; mir steckt der seltsame Abend noch in der Kehle. Von Frau Klein gibt es nichts Neues, keine Besserung. Ich untersuche Herrn Schwendler, sein Herzrhythmus ist gleichmäßig und mit der lebenswichtigen Schonung nimmt er es so genau, dass er nicht mal Besuch empfängt. Ich muss an den Herrn denken, der vor Schwendler in diesem Zimmer lag und ebenfalls strikte Anweisung hatte, sich zu schonen. Warum ist er mir hier so charmant vorgekommen, so interessant? Damals haben mich seine Provokationen gereizt, die mich gestern plötzlich als Machosprüche genervt haben. Wieso war es gestern nicht mehr aufregend, sich mit ihm zu messen, sondern nur anstrengend?
    Herr Schwendler sieht mich ängstlich an. »Stimmt was nicht?« Erschrocken komme ich wieder zu mir. Ich möchte nicht wissen, wie mein Gesicht gerade aussah – und was Herr Schwendler daraus geschlussfolgert hat. Ich habe mich heute viel zu wenig um ihn bemüht.
    Â»Es sieht alles sehr gut aus«, sage ich beruhigend. »Eine Virusmyokarditis heilt oft ganz schnell aus.«
    Dass sie andererseits manchmal blitzschnell zum plötzlichen Herztod führt, sage ich nicht. Ich will ihn doch nicht aufregen. Und außerdem habe ich das Gefühl, dass ich heute alle Im-schlimmsten-Fall-Szenarien dringend aus meinem Hirn verbannen muss.
    Jenny hat sich den Tag über ganz gut geschlagen, indem sie einfach so tat, als sei nichts gewesen. Erst als wir bei der Visite das Zimmer 17 – und Jennys ehemalige Patientin – erreichen, wird sie unruhig. Offenbar wurde sie noch nicht informiert, ob sie zur Patientenbetreuung wieder zugelassen ist. Ich kann nur hoffen, dass Dr. Ross sich anständig benimmt und nicht vor der Patientin die Disziplinarmaßnahmen erörtert.
    Tatsächlich sagt Dr. Ross nicht viel. Nur dass Jenny Paula Schwab vorerst nicht mehr allein, sondern von der Stationsärztin begleitet weiterbetreut. »Begleitet« klingt in Dr. Ross’ Tonfall, als sei Jenny eine gefährliche Pfuscherin, die von der überlasteten Stationsärztin beaufsichtigt werden muss. Paula Schwab nickt. Ich fange einen Blick zwischen ihr und Jenny auf, der mich erstaunt. Sehe ich da stilles Einverständnis, ein einträchtiges Bündnis gegen die Stationsärztin?
    Frau Schwab schaut knapp an Dr. Ross vorbei und sagt unwillig: »Mich darf sie behandeln.«
    Dr. Ross lächelt ihr knappes Ich-habe-Verständnis-für-deine-Unwissenheit-Lächeln und entgegnet: »Die Klinikleitung hält das momentan nicht für angebracht.«
    Und siehe da, die lethargische, schwermütige Frau Schwab widerspricht noch einmal: »Ich hab freie Arztwahl. Und bei mir kann sie nichts mehr kaputtmachen.«
    Dr. Ross atmet tief durch, verkneift sich aber die Antwort, dass eine PJlerin ja noch keine approbierte Ärztin ist. Mit einer Patientin mit solch ungünstiger Mortalitätsprognose streitet sie nicht. »Wir werden sehen«, sagt sie nur und Paula Schwab nickt. Ich weiß nicht, ob sie Jenny aus Prinzip verteidigt, weil sie sich selbst benachteiligt fühlt, oder ob meine Freundin das Herz der abweisenden Patientin gewonnen hat. Aber ich sehe Jenny strahlen und gönne ihr nichts so sehr wie eine Patientin, die explizit ihr, und nur ihr, Vertrauen schenkt.
    Der Feierabend hält noch eine Überraschung für mich bereit. Nach dem Besuch bei Frau Klein komme ich auf die Station zurück, um meine Jacke zu holen – und als ich an Dr. Thalheims Büro vorbeigehe, steht seine Tür offen. Er sitzt am Schreibtisch und arbeitet. (Irgendwann möchte ich auch mal an diesem riesigen, überladenen Tisch arbeiten – um ihn beim Wort zu nehmen, aber auch, um endlich einen Blick auf seine Liebste im goldenen Rahmen zu werfen.) Er sieht auf, als ich vorbeikomme und sagt: »Wenn Sie einen Moment Zeit haben …?«
    Wieder sitze ich in Dr. Thalheims Büro und wundere mich, wie dieser abgebrühte Arzt eine so warme Stimmung um sich herum verbreiten kann, ohne irgendwas Nettes zu sagen. Er sitzt mir einfach nur gegenüber und sieht mich an – er lächelt nicht mal. Er ist einfach nur da und man fühlt sich irgendwie gut. So sollten Ärzte sein. (Oder Männer?)
    Â»Wie geht es Ihnen?«, fragt Thalheim.
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ist das die Eröffnung zu einem Gespräch, dessen wahren Gegenstand ich noch nicht erkannt

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