Miss Emergency
habe â oder interessiert er sich wirklich für die Befindlichkeiten einer PJlerin? Er lächelt und wirkt erwartungsvoll. Also fange ich mal an. Ich erzähle von meinem Patienten Schwendler und dann von Frau Klein, über die ich eigentlich sprechen möchte. Von der Hilflosigkeit, wenn ich an ihrem Bett sitze, und dem Schuldgefühl, wenn ich nicht hingehe.
Dr. Thalheim nickt. Ich komme mir gar nicht anfängermäÃig und ahnungslos vor. »Sie müssen ein bisschen mehr zwischenArzt und Privatmensch trennen. Aber wenn Sie eine gute Ãrztin werden wollen, trennen Sie es nicht zu strikt. Die Kunst liegt darin, so viel Mensch zu bleiben, dass Ihre Patienten es fühlen können. Und so viel Maschine, dass Sie es ertragen.« Er zuckt mit den Schultern. »Ich kann das nicht so gut. Ich trenne lieber ein bisschen strikter.«
Plötzlich so menschlich, verletzlich, echt. Wieso jetzt erst?
Er lächelt schnell. »Wollen Sie Kaffee?«
Ich lasse mir die Gästetasse vollschenken und sehe zu, wie er den Indiana-Jones-Becher leert. Ich fühle mich so wohl hier, geborgen und anerkannt. Nur noch ein bisschen reden ⦠Und dann kann ich nicht mehr aufhören. Ich erzähle von meinen Freundinnen, nicht von dem Streit, aber von Jennys Beinahe-Rauswurf. Siehe da, Dr. Thalheim weiÃ, wem Jenny ihre Rettung verdankt. Und er findet es ebenso bemerkenswert wie ich. Er lächelt. »⦠so sind Sie alle über sich hinausgewachsen â¦Â« Ich fühle mich gemeint â nur mich.
Als ich mich eine Stunde später verabschiede, ist es auf der Station schon still geworden. Dr. Thalheim bietet mir heute nicht an, mich nach Hause zu bringen. Aber es ist auch gar nicht nötig. Ich fühle mich ihm so verbunden, dass es fast zu viel wäre, neben ihm heimzufahren. Nur zwei Tage bis zur nächsten Arbeitswoche.
M eine Freundinnen werfen sich vielsagende Blicke zu, als sie von meinem Abend in Thalheims Büro hören. Ich muss das ganze Wochenende immer wieder darauf hinweisen, dass es NICHT das bedeutet, was Jenny interpretiert. Er war einfach nur nett. Doch selbst Isa gibt zu bedenken, dass Dr. Thalheim keine andere PJlerin zum persönlichen Stimmungsbericht in sein Büro bittet. Ich gebe das zu. Aber nicht, wie sehr es mir gefällt. Sowohl, dass er mich ein bisschen bevorzugt â als auch, dass meine Freundinnen das ganze Wochenende über ihn reden. Aber im Ernst, Lena! Du und der Oberarzt?! Wovon träumst du denn im nächsten Tertial?! Halt! Stopp! Ich träume überhaupt nicht vom Oberarzt! Und bis Montag ist die Wochenendschwärmerei endgültig abgeklungen und ich bin mir wieder ganz sicher, dass ich mich nur kurz vom Geschmeicheltsein mitreiÃen lieÃ. Und Manuel habe ich nur vertröstet, weil ich Isa bei der Fallbesprechung helfen wollte.
Am Montagabend bringt Schwester Hanna das Gespräch auf ein Thema, mit dem ich mich noch gar nicht beschäftigt habe.
»Was machen wir denn eigentlich«, fragt sie unsicher und zupft der reglosen Frau Klein das Kissen zurecht, »wenn die Patientenverfügung abläuft?«
Ich habe überhaupt noch nicht daran gedacht. Aber die lebenserhaltenden MaÃnahmen werden natürlich nicht ewig weitergeführt. In Frau Kleins Patientenverfügung steht, dass sie nur vier Wochen künstlich am Leben erhalten werden will. Was tueich, wenn diese Zeit abgelaufen ist? Halt, Lena, die Frage stellt sich für dich gar nicht. Du kannst nichts tun. Einer der ITS-Ãrzte wird dann abschalten. Abschalten müssen. Und du weiÃt nicht mal, wen du benachrichtigen solltest.
An diesem Abend bin ich schrecklich niedergeschlagen. Und irgendwie unwillig meinen Freundinnen gegenüber, die kaum â wann sind diese Sitten bei uns eingekehrt?! â von ihren Lehrbüchern aufsehen und mir beide, Isa mitfühlend, Jenny sachlicher, erklären wollen, warum eine Patientenverfügung eine gute Sache ist. Das wollte ich nicht besprechen. Ich würde gerne mit einem Nicht-Arzt reden, der die Sache so ungerecht und subjektiv diskutiert, wie ich sie gerade sehe. Ich telefoniere mit Manuel. Er freut sich, mich zu hören und möchte Pläne machen. Als ich zugebe, dass ich mich ausheulen will, sagt er zwar erst, dass er mich so gar nicht kenne, erklärt dann aber sofort mit Beschützerstimme, ich könne ihm alles erzählen. Mir kommen fast wieder die Tränen, als ich ihm
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