Miss Emergency
desinteressierte, hartherzige Vater die Lorbeeren für Isas Heldenmut ernten soll, passt mir nicht. Dann aber sehe ich Jennys glückliches Gesicht. Und denke mir, dass Isa das wohl genau deswegen so stehen lassen würde.
Erst in der S-Bahn wird mir richtig bewusst, dass ich IHN gleich wiedertreffe. Wir haben uns fast eine Woche nicht gesehen. Ich freue mich kribbelig. Zumindest irgendwie. Wirklich, Lena? Hast du ihn so vermisst, oder freust du dich, weil du dich mit jemandem triffst?
Blödsinn! Ich freue mich auf Manuel!
Es ist irgendwie komisch, sich wiederzusehen. Mein erster Gedanke, kurz bevor ich ihn entdecke, ist ein wenig erschreckend. Ich kann ihn mir plötzlich nicht mehr vor dem inneren Auge erscheinen lassen, habe auf einmal gar kein konkretes Bild mehr. Was heiÃt das? Zum Glück wartet Manuel schon an der nächsten Ecke. Und sieht genau aus wie immer. Er lächelt, seine Augen strahlen, seine Haare sind ein wenig in Unordnung. Er küsst mich. Alles ist wieder gut.
In einer Bar stellt Manuel mich seinen Freunden vor. Sportliche Jungs, sie reden laut und begrüÃen mich herzlich; es gibt ein paar anzügliche Bemerkungen, die Manuel mit gleicher Münze zurückzahlt. Einige Jungs haben Freundinnen dabei, die mich sofort in ihr Gespräch einbeziehen. Während die Jungs über Fahrräder sprechen, erzählen mir die Mädchen von ihren Jobs, ihren Hobbys, ihren Freunden. Zu meinem Beruf sagen sie »Wow« und »Ist das nicht super kompliziert?!« Was soll man da antworten â¦
Ich bin sicher nicht dem Akademikerdünkel verfallen und entschlossen, sie so nett zu finden, wie sie sich mir gegenüber benehmen.Zwei arbeiten im Fitnessstudio, durchtrainierte Mädchen, die Schultern unter den Spaghettiträgern muskulös. Die dritte, Janine (die Herzchenunterschrift?), ist Einzelhandelskauffrau. Sie jobbt in einem angesagten Klamottenladen â ein Vorteil, den die anderen in höchsten Tönen anpreisen. Auch mir verspricht Janine gleich den Einkaufspreis. Die anderen beschlieÃen, mit mir shoppen zu gehen. Und hinterher Cocktails. Sie verplanen meine ganze Woche. Ich fühle mich einerseits geschmeichelt. Andererseits trage ich seit Jahren nicht mehr bauchfrei.
Manuel scheint es zu gefallen, dass mich die Mädels so vereinnahmen. Er redet heute ohnehin nicht viel mit mir, dafür umso lauter mit den anderen Jungs. Zwischendurch zieht er mich immer mal an sich, um mich zu küssen. Irgendwann komme ich mir ein bisschen blöd vor. Als wir gehen, verabschieden sich alle mit Küsschen, auch ich werde miteinbezogen. Dann sind wir endlich allein.
»War doch ein echt schöner Abend!«, sagt Manuel bei unserer Abschiedsknutscherei. »Morgen wieder?«
Ich bin kurz irritiert. »Morgen wieder wir beide« oder »morgen wieder hier«?
»Na hier«, sagt Manuel, »ich hab meine Jungs drei Wochen nicht gesehen â¦Â«
Ich nicke. Hmpf. Er lächelt mich an, süà und gewinnend.
»Oder möchtest du morgen mit mir alleine sein?«
Ich zucke die Schultern. Ich weiÃ, worauf er hinauswill. Alleinsein ist eine recht eindeutige Umschreibung. Ich finde es irgendwie zu früh. Andererseits ⦠Möchte ich wirklich einen weiteren Abend lang Janines Geplauder über Cocktails, Nagellack und T-Shirt-Preise hören? Lena, willst du mit Manuel ins Bett gehen, um den Abend nicht mit Janine und den Fitnessmädels verbringen zu müssen?!
»Ich ruf dich morgen an«, sage ich schlieÃlich.
Ich fahre heim und bin irgendwie traurig. Vielleicht bin ich nur müde. Meine sprudelnde Freude klebt jetzt irgendwie zäh im Magen.
N ur noch ein Arbeitstag bis zum Wochenende. Die Zeit rast immer schneller an uns vorbei und doch sind die Arbeitswochen im Rückblick unendlich lang. Es ist fast komisch, zu sehen, wie unwohl Jenny sich an diesem Freitagmorgen fühlt. Gestern noch der Rebell vom Dienst, will sie heute ihre Tugend unter Beweis stellen â so ein Umschwung ist nicht ohne Demut zu schaffen. Und sich zu entschuldigen, liegt Jenny definitiv nicht. Ich wette, meine impulsive Freundin bereut, dass sie sich noch gestern gegen all diese Leute so unmöglich benommen hat. Doch Jenny funktioniert ein wenig anders.
»Ich wünschte, sie hätten mir erst für Montag verziehen«, sagt sie etwas missmutig. »Wär irgendwie leichter gewesen übers Wochenende.«
Wir schlurfen
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