Miss Emergency
herüber. Ich könnte im Boden versinken und sehe Isa blutrot anlaufen. Und siehe da: Jenny gibt sich geschlagen. Sie steht auf und verlässt die Cafeteria. Sie geht aufreizend langsam â aber sie geht. Erst als die Tür hinter ihr zufällt und nach einer unendlich scheinenden Stille die Gespräche wieder einsetzen, wage ich auch wieder zu atmen. Schwester Klara tritt zu dem Blauhaarigen an den Tresen und lässt sich ihr Essen aushändigen, als sei nichts gewesen. Und dann kommt sie mit ihrem Tablett noch einmal an unserem Tisch vorbei, wirft einen zufriedenen Blick auf Jennys verlassenen Teller und flötet: »Tja Mädels. Das Leben ist eines der härtesten!«
E s gibt nichts Entspannenderes als Schokolade und Frauengespräche. Am Abend hocken Isa und ich in ihrem gemütlichen Zimmer und werten den Tag aus. Jenny ist unterwegs, sie hat ein Date. Nachdem sie eine Stunde im Bad verbracht hat, ist sie in einem knallblauen Fummel und einer Haarspraywolke davongeschwebt. Sie scheint den Ãrger des Tages schon völlig überwunden zu haben. Isa und ich aber müssen uns noch ein bisschen über den Arbeitstag austauschen â und über Jenny. Ja, ja, die Analyse abwesender Personen ist offiziell natürlich verpönt. Tatsächlich aber schweiÃt nichts mehr zusammen, als zu zweit die unbegreiflichen Eigenheiten eines Dritten zu erörtern. Doch Isa ist wirklich keine Klatschtante und auch ich bin viel zu fasziniert von Jenny â unser Austausch ist also keine Lästerei, sondern nur der Versuch, gemeinsam das Phänomen Jenny zu begreifen. Isa sorgt sich, dass unsere kesse Mitbewohnerin mit ihrer aufbrausenden Art noch böse Schwierigkeiten bekommen wird. Und nicht zuletzt war es heute Isa, die Jennys schlechte Laune ausbaden musste.
Wir rekapitulieren den nervenzehrenden Nachmittag. Natürlich kam Jenny nach ihrer Extraaufgabe zu spät zur Visite â und in einer Mordslaune. Sie stapfte regelrecht brodelnd hinter unserer Gruppe her. Aus Angst, Jenny könnte vor Dr. Ross explodieren, sprach die arme Isa unentwegt beruhigend auf die wütende Freundin ein. Mit dem Ergebnis, dass Dr. Ross Isa wegen mangelnder Aufmerksamkeit zurechtwies und Jenny ihr unumwundenzu verstehen gab, dass Isa ihr auf die Nerven ging. Es scheint das undankbare Los unseres Häschens zu sein, immer im besten Bemühen zwischen alle Fronten zu geraten.
Ich tröste Isa mithilfe der Prosecco-Reste unserer Party und der wiederholten Versicherung, dass Dr. Ross sie jetzt bestimmt nicht auf dem Kieker hat.
»Du hast leicht reden«, hält Isa verdrieÃlich dagegen. »Deine Visite lief ja prima!«
Tatsächlich wurde ich zweimal zu Diagnosen aufgefordert und identifizierte korrekt eine Gallenkolik und eine Magenschleimhautentzündung. Ich muss Isa an die Begegnung im Zimmer 16 erinnern, um ihren Neid zu dämpfen. Manuel Ritter hat sich wieder groÃartig aufgespielt. Auf die Frage, wie es ihm gehe, antwortete er, er langweile sich. Dr. Ross bedauerte, dass er nicht lesen oder fernsehen dürfte. Ich warf Manuel einen triumphierenden Blick zu: Von wegen Schikane! Aber Herr Ritter ignorierte mich geflissentlich, lächelte stattdessen eine der älteren PJlerinnen an und erklärte, er lenke sich mit Zaubertricks ab. Die Ãltere, eine Discoschönheit namens Marie-Luise, verlangte mit übertriebenem Augenaufschlag eine Kostprobe. Sollte man meinen, Dr. Ross würde solch albernem Geflirte Einhalt gebieten? Ich dachte schon! Aber sie tat nichts dergleichen und Manuel Ritter lieferte eine saublöde Show: Er schwenkte die Hände, murmelte einen Spruch à la »Fernbedienung verschwindibius« â und raunte wie ein billiger Jahrmarktsmagier, er habe seine Fernbedienung in meine Tasche gezaubert. Natürlich war sie dort, ich hatte das Teil ja seit der Auseinandersetzung vor dem Mittagessen in der Kitteltasche. Und die alberne Marie-Luise griff unaufgefordert in meine Tasche und zog beifallflötend die Fernbedienung heraus. Applaus, alle waren begeistert von dem idiotischen Scherz und ich wieder die Blamierte. Marie-Luises Gekicher bringt mich jetzt noch auf die Palme. Zu allem Ãberfluss hat sie Manuels Hände getätschelt, als sie ihm das blöde Gerät zurückgab â und neckisch gedroht, es nicht zu benutzen, wenn er seinen niedlichen Kopf nicht ruinieren wolle. IchWEISS, dass er gut aussieht. Aber muss man ihm
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