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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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ein und bittet mich, einen Moment mit hereinzukommen. Aus seiner Sicht gibt es also doch noch was zu beräumen. Ich wappne mich für eine Auswertung mit Mahnung – du wirst nicht widersprechen, Lena, er hatte recht und er hat dir ein Brot geschickt.
    Wieder lässt er mich im Sessel vor seinem Schreibtisch Platz nehmen. Heute gibt es keinen Indiana-Jones-Kaffee. Einen ganz kurzen Kontrollblick kann ich mir nicht verkneifen, vielleichteröffnet sich ja heute das Geheimnis des Bilderrahmens? Fehlanzeige. Der altmodische Rahmen steht wie beim letzten Mal neben einem Bücherstapel, allerdings kann ich auch von hier aus nur die stoffbezogene Rückseite sehen; wieder bleibt mir ein Blick auf Thalheims perfekte Frau (oder seine zauberhafte Familie, die geliebten Eltern oder seinen treuen Vierbeiner) verwehrt. Mehr als einen Blick kann ich jetzt auch nicht riskieren. Vielleicht könnte ich beim Aufstehen ein wenig hinter den Schreibtisch geraten? Dr. Thalheim setzt sich mir gegenüber.
    Â»Sie verstehen, dass ich noch einmal auf den Vorfall heute Morgen zurückkommen muss.«
    Natürlich.
    Â»Ich kann nachvollziehen, dass Sie für Ihre Freundin da sein wollen. Auch mir ist es wichtig, dass Sie hier Freunde finden und sich gut einleben. Nicht, damit Sie es hier schön kuschelig haben. Sondern weil später viel davon abhängt, dass Sie Kollegen haben, denen Sie vertrauen und auf die Sie sich hundertprozentig verlassen können.« Er lächelt.
    Ich atme aus. So schlimm wird es also nicht. Eigentlich sehr nett von ihm, das Freundefinden auch als wichtiges Ziel des PJs darzustellen. Ich möchte das honorieren und gebe noch einmal ehrlich zu, dass ich heute Morgen meine Patienten hintangestellt habe, mich dafür schäme und das nie wieder tun will.
    Er nickt. »Das weiß ich, Fräulein Weissenbach. Diese Sache ist ja nun auch erledigt.«
    Okay, dann sind wir uns ja einig. Ich entschuldige mich, du akzeptierst, ich arbeite durch, du schickst Brot. Eigentlich wäre wirklich nicht noch ein Vier-Augen-Gespräch nötig gewesen. Wollte er vielleicht einfach wieder mal mit mir allein sein? Bestellt er mich in sein Büro, nur um mit mir zu plaudern? Wie sehe ich aus? Und sollte ich ein neues Thema anbieten, um es ihm leichter zu machen?
    Â»Ich hätte Sie auch nicht noch mal um ein Gespräch gebeten«, unterbricht er meine geschmeichelte Fantasie, »wenn nicht noch eine andere Sache vorgefallen wäre.«
    Moment! Was soll das?! Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Hastig läuft der Tag im Zeitraffer durch mein Hirn. Ruhig, Lena. ICH HAB NICHTS GETAN!
    Dr. Thalheim muss meine Verwirrung bemerken, doch er unternimmt nichts, um mich zu beruhigen. Sein Blick ist ernst. »Ich kann nicht hinnehmen, dass Sie manchen Patienten so viel Zeit widmen, ohne dass es medizinische Gründe hat«, sagt er ruhig.
    Ich verstehe nicht. Doch als ich nachfrage, wird sein Lächeln fast zynisch. »Ganz einfach, Fräulein Weissenbach: Sie widmen sich den einen weniger … und den Jungen mehr.«
    Was für eine Ungerechtigkeit! Denkt er das echt? Ich brauche eine gefühlte Stunde, bevor ich wieder ein Wort rausbringe. Ganz ruhig, Lena! Lass ihn nicht merken, wie gekränkt du bist. Frag sachlich, wie er auf eine so ungeheure Unterstellung kommt.
    Â»Was soll das denn heißen?!« (Nicht ganz so eloquent. Und der Tonfall gerät auch leicht beleidigt. Aber besser ging’s nicht ohne Wuttränen.) Oh Mann, und jetzt geht mir auf, was er meint. Manuel.
    Â»Sie verbringen sehr viel Zeit bei dem SHT in der 16.«
    Klar. Manuel. Was sagt man jetzt? Ich versuche zaghaft ins Feld zu führen, dass ich auch bei Frau Klein mehr Zeit verbracht habe als bei anderen Patienten. Dr. Thalheim lässt das nicht gelten.
    Â»Die 15 ist eine einsame alte Dame ohne Angehörige; sehr löblich, dass Sie sich immer mal ein wenig Zeit für sie nehmen. Das sollten wir alle tun.« Erst klingt es noch ermutigend. Aber dann fährt er fort: »Bei Zimmer 16 hingegen muss ich vermuten, dass Ihrem höheren Engagement ein eher persönliches Interesse zugrunde liegt.«
    So gestelzt Sie es auch herauswinden, Dr. Thalheim – was Sie sagen wollen, kommt leider brutal deutlich heraus. Was, was, was sagt man dagegen?! Mein erster Impuls ist abstreiten, hinausrauschen, für immer beleidigt sein. Bei jedem anderen hätte ich diesem Affekt nachgegeben. Hier geht es

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