Miss Emergency
wenigAufmerksamkeit wie möglich auf meine neue tägliche Schmach lenken.) Als ich mich erinnere, dass ich gestern vergeblich auf sie gewartet habe, schweigt Jenny sich aus.
»Sorry, aber ich kann meine Geheimnisse nicht mehr einfach so preisgeben, solange ANDERE LEUTE ihre nicht auch teilen!« Natürlich zielt das gegen Isa. Die wird prompt rot und Jenny genieÃt es. »Ich bin jederzeit zum Austausch bereit«, flötet sie.
Isa lächelt etwas angestrengt. Ich fürchte, gegen Jennys Hartnäckigkeit wird sie nicht lange durchhalten. Als der bebrillte Paul an uns vorbeigeht, grinst Jenny noch breiter und winkt. Ich glaube nach wie vor nicht, dass PAUL Isas geheimer Freund ist â aber er wird ganz schön rot, als er zurückwinkt, und Jenny fühlt sich bestätigt. Ich denke ehrlich gesagt, dass Paul einfach über die Aufmerksamkeit der schönen Jenny errötet ist, und grinse in mich hinein, als ich mir vorstelle, dass meine ungestüme Freundin sich jetzt einen Verehrer angelacht hat, der ihr von nun an auf Schritt und Tritt brilleputzend und büchertragend durch die Klinik hinterherläuft.
Fünf vor eins schlendert Jenny aus der Cafeteria und fragt Schwester Klara im Vorbeigehen, ob die nicht auch langsam mit dem Essen fertig werden und an ihren Tresen zurückkehren wolle.
»Ich möchte in zwei Minuten die Laborergebnisse dort abgeben und hab keine Lust, auf Sie zu warten, Schwester!«
Was für eine herrliche Unverschämtheit! Und Schwester Klara steht wirklich auf und räumt ihr Tablett weg! Ich kenne sonst niemanden auf der ganzen Welt, der sich solche Frechheiten trauen würde â und dann auch noch damit durchkommt! Isa und ich lassen es uns auch heute nicht nehmen, das Spektakel anzusehen. Wir verlassen mit Schwester Klara die Cafeteria â und werden bereits von der zufrieden mit den Umschlägen winkenden Jenny erwartet.
»So finden wir das nie raus«, flüstert Isa, plötzlich auch angestachelt. »Wir müssen VOR Jenny gehen!«
Ich grinse. »Du willst wohl dein Geheimnis behalten?!« Ihr Blick trifft mich, enttäuscht und vorwurfsvoll. »Ich hab nichts verraten«, beteuere ich. »Aber du kennst doch Jenny! Ganz schwer, was vor ihr zu verheimlichen!«
Warum sieht Isa denn nur so erschrocken aus?! Dr. Ross spricht Isa an; es ist Zeit für ihre Aufnahmeuntersuchung. Hinter der Stationsärztin kommt Dr. Thalheim. Der braucht mich gar nicht so anzusehen. Ich drücke Isa schnell die Daumen, dann gehe ich davon. Mein Rücken sagt: Ich respektiere deine Anweisung, weil du mein Vorgesetzter bist. Aber dass ich dich anlächle, kannst du nicht anordnen.
Bei der Visite erfahren wir schon, wer Isas Patient sein wird: ein älterer Herr mit einer Hepatitis E. Und auch Jennys Wunsch hat sich erfüllt; in Zimmer 17 teilt Dr. Ross uns mit, dass Frau Schwab ab morgen von Jenny betreut wird. Die 15 ist unsere letzte Station. Ich übergebe Manuel den versiegelten Arztbrief für seinen Hausarzt und füge stolz vor den anderen die letzten Ermahnungen an. Dr. Ross sagt »Alles Gute«, Marie-Luise wünscht Manuel Glück und beugt sich beim Händeschütteln eindeutig zu weit über ihn â und dann war es das. Manuel darf gehen. Eine Schwester wird jetzt seine Sachen packen. Als die anderen das Zimmer verlassen, bleibe ich noch eine Sekunde an Manuels Bett.
»Es ist ausgemacht«, flüstert er verschwörerisch. »Wir sehen uns am Wochenende.«
Ich zwinkere ihm zu. »Ja. Und wenn du gepackt hast, schaue ich noch mal kurz rein und verabschiede dich.«
»Ich packe nicht selbst«, sagt er. »Das hat meine Ãrztin verboten. Sie hat mir Frauen verordnet, die alles für mich tun sollen.«
»Nur damit du vorbereitet bist: In dem Arztbrief steht, dass dein Hausarzt dir bei solchen Anwandlungen einfach schlaferzwingende Barbiturate spritzen soll.« Ich klopfe ihm auf den Arm und eile den anderen nach. Das wird mir echt fehlen!
Vielleicht bin ich doch ein wenig angestoÃen von Dr. Thalheims gestriger Kritik. Auf meiner Nachmittagsrunde jedenfallsbeschlieÃe ich, ihn Lügen zu strafen und meinem anderen Schützling etwas Extrazeit zu widmen. Frau Klein liegt mit geschlossenen Augen in ihrem Bett, schläft aber nicht. Sie atmet flach. Ich berühre ihre Hand. Sie öffnet die Augen, ein winziges Lächeln erscheint auf dem runzeligen
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