Miss Emergency
die Beine rennen so schnell auf der Stelle, dass sie durchdrehen. Es ist wahr: Isa ist beim Erscheinen des Chefarztes ausgebüxt. Ich kann es nicht fassen und öffne aufs Geratewohl die nächste Tür. Blutrot im Gesicht steht Isa dahinter.
»Bist du irre?«, fahre ich sie an.
»Bloà feige â¦Â«, flüstert Isa zurück.
Ich ziehe sie auf den Flur. Der überraschten Patientin im Bett bleiben wir die Erklärung schuldig.
»Ich weiÃ, dass es idiotisch ist«, sagt Isa bedrückt. »Aber es ist ein Reflex!«
Ich habe wirklich Mitleid, sie wirkt so unglücklich. Aber nächste Woche ist wieder Visite, da kann sie nicht ausweichen!
»Was soll ich denn machen?!« Isa klingt hilflos. »Ich habe jahrelang gearbeitet und auswendig gelernt und alles andere vernachlässigt. Ich hab vierzehn Kurse als Beste abgeschlossen. Und jetzt ist alles umsonst, weil ich in Totenstarre verfalle, sobald ich nur seine Stimme höre â¦Â«
Die einzige Lösung, die mir spontan einfällt, hat leider nur Kindergartenniveau. Ich schlage vor, dem Chef nachzugehen.
»Wir laufen ihm einfach fünfmal über den Weg, dann gewöhnst du dich an seinen Anblick«, sage ich.
»Und er gewöhnt sich daran, dass wir irre sind«, erwidert Isa. »AuÃerdem sollten wir uns lieber um die Patienten kümmern als um meine Psycho-Störung.«
Ich weiÃ, dass das eine Ausrede ist. Aber auf den Gedanken,ich könnte mich nicht genug um die Patienten kümmern, reagiere ich inzwischen empfindlich. Also gebe ich nach. Und darüber, was der Chefarzt schlussfolgern könnte, wenn seine PJlerinnen ihn plötzlich über die Flure verfolgen, habe ich wirklich nicht nachgedacht.
Heute habe ich für meinen Besuch bei Frau Klein vorgesorgt; ich bin in der Mittagspause zum Blumenladen an der Ecke gesprungen und habe einen »echten« Strauà gekauft. ( Ja, ich habe die 10 Minuten von der Mittagspause abgezogen â und immerhin keinen Laboranten geschickt.) Als ich den Strauà zum Feierabend im Aufenthaltsraum abhole, hat jemand ihn aus dem Papier gewickelt und auf den Tisch gestellt. Aber darauf kann ich keine Rücksicht nehmen.
Auf der Intensivstation begrüÃt mich die Schwester von gestern. Dass ich hinter ihrem Rücken einen Blick auf den Dienstplan werfen kann, bringt mir einen guten Schwung Sympathiepunkte. Der einzige Name, der gestern und heute eingetragen ist, ist »Hanna« â und die Schwester strahlt, weil ich ihren Namen weiÃ. Sie bringt mich ins Krankenzimmer und erzählt von Frau Kleins Tag. Es klingt nicht gut; sie hat fast den ganzen Tag geschlafen und nichts zu sich genommen. Der diensthabende Arzt hat angeordnet, dass sie künstlich über die Vene ernährt wird. Hanna schafft es, meine Blumen mit dem Gestrüpp von gestern so zu arrangieren, dass ein schöner groÃer Strauà entsteht. Ich sitze daneben, betrachte Frau Klein und nicke zu Hannas Bericht. Meine Arztmaske hält. Aber in meinem Inneren überstürzen sich die Fragen: Wie angegriffen wird die Lunge sein, wie sah wohl das MRT aus, was kann passieren, wenn sich Frau Kleins Zustand noch verschlechtert? Sie ist nicht meine Patientin, ich muss den zuständigen Arzt um die Informationen bitten. Warum ist sie nicht meine Patientin?!
Frau Klein wacht nicht auf. Dann kommen meine Freundinnen; sie versuchen, die Situation ein wenig schönzureden. Morgen wird es besser sein, sorg dich nicht, solange sie schläft, ist alles gut. Sie haben recht. Es tut mir nur leid, dass Frau Klein hierden ganzen Tag allein liegt â und den einzigen Besuch regelmäÃig verschläft. Aber ich kann nichts anderes tun, als morgen wiederzukommen.
Am Abend hängen wir alle ein wenig durch. Jenny bemäkelt ihre Haare und durchwühlt unzufrieden unser Badezimmer auf der Suche nach der passenden Kur, die keine von uns vorrätig hat. Isa will lernen und fühlt sich von Jennys Frisurenpanik gestört. Sie sagt nichts, aber ihre Sorge, sich gleich nicht mehr konzentrieren zu können, ist fast panisch. Und ich? Ich sitze am Küchentisch und falte den Zettel mit Manuels Nummer auf und zu. Wenn die Verabredung ein Scherz war, blamiert mich mein Anruf bis auf die Knochen. Wenn ich noch eine halbe Stunde unentschlossen bin, ist es zu spät, um anzurufen. Ich brauche ein Orakel. Wenn in den nächsten fünf Minuten eine meiner Freundinnen
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