Miss Emergency
»Vielleicht will ich nicht nur glänzen«, sagt sie herausfordernd zu Marie-Luise. »Vielleicht will ich ja einfach Krebs heilen?!«
»Jenny, damit macht man keine Scherze«, sagt Isa leise.
»Nicht immer so ängstlich und bieder, Isa«, erwidert Jenny über die Schulter. »Wozu sind wir denn Ãrzte? Um aufgeschlagene Knie zu verpflastern?«
Ich bin nicht sicher, ob ich Jenny gerade ernst nehme. Ist das wirklich ihre Meinung oder will sie Marie-Luise nur irgendwas entgegensetzen? Und was denke ich? Will ich eigentlich auch »die groÃen Fälle«? Oder würde mir Knie verpflastern reichen â in der beruhigenden Welt, in der aufgeschlagene Knie die schlimmste Verletzung sind? Ich sehe die anderen PJler nachdenklich werden. Paul nickt sogar. Marie-Luise schnaubt, sie weià nichts zu entgegnen. Jenny lächelt, macht kehrt und geht. Und lässt uns alle mal wieder hübsch verunsichert zurück.
Als ich abends auf die Intensivstation komme, eilt Schwester Hanna mir schon entgegen. »Heute geht es ihr viel besser!«
Glücklich trete ich an Frau Kleins Bett. Wirklich, sie erwidert meinen Blick, scheint sogar ganz leicht zu lächeln.
»Wie geht es Ihnen?«, frage ich froh.
Frau Klein hebt die Hand und deutet auf die Blumen auf dem Nachttisch, sie schüttelt leicht den Kopf und droht mit dem Finger. Es soll wohl heiÃen, dass sie unsere Blumengaben übertrieben findet.
Ich kann nicht lange bleiben; nachdem ich 10 Minuten von der Station und meinen Mädels erzählt habe, ist Frau Klein müde. Ich darf sie nicht überanstrengen. Aber als ich gehe, bin ich so glücklich wie lange nicht. Ich bin sicher, dass es ihr nach dem Wochenende viel besser gehen wird. Sie hat es mir sogar in die Hand versprochen.
An diesem Freitagabend hat die WG Ausgangssperre. Das legen wir spontan fest, als uns beim Heimkommen klar wird, wie verwahrlost unsere Wohnung wirkt. Haben wir wirklich die ganze Woche nicht abgewaschen? (Wann denn, wir sind ja nie zu Hause â und morgens immer auf den letzten Drücker.) Was haben wir eigentlich die letzten Tage gegessen â der Kühlschrank ist ein gähnender Abgrund! Und haben wir nicht einen Staubsauger besessen? Ist der unter den Klamottenbergen im Flur verschollen? Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden! Ich übernehme den Abwasch, die anderen beiden den Wocheneinkauf. Als ich vor den turmhohen Geschirrstapeln stehe, bereueich meinen Entschluss. »Morgen frage ich Papi nach einer Spülmaschine«, hat Jenny sicher schon 20-mal behauptet. Ich weià nicht, ob sie es jedes Mal vergisst, sobald sich der Abwasch nicht mehr türmt, oder ob sie das immer nur als kurzfristige Ausrede benutzt, damit SIE nicht spülen muss. Wie dem auch sei, die Spülmaschine bin vorerst ich.
Ich habe noch nicht die Hälfte des Geschirrs versorgt und stehe bis zu den Ellbogen im Schaum, als es klingelt â viel zu früh für die Einkäuferinnen. Und statt meiner Freundinnen steht eine groÃe blonde Frau vor der Tür.
»Bist du Isa? Nein, zu hübsch. Du bist sicher Lena.«
Es hätte die blonden Locken und die Ãhnlichkeit der Augen nicht gebraucht, um zu begreifen, dass ich Jennys Mutter vor mir habe. Sie sieht aus wie eine ältere, teurere Kopie von Jenny, top gestylt und gertenschlank. Trotzdem dürfte sie die 50 überschritten haben. (AuÃer ihrer Nase vielleicht; ich könnte wetten, dass die jünger ist als der Rest des Gesichts.) Die schicke Mutter geht an mir vorbei und sieht sich in der Wohnung um, als hätte ich sie dazu aufgefordert. Unter ihrem Arm klemmt eine riesige Tasche, die sie nicht absetzt, und auch ihre High Heels behält sie an. Während sie sich umsieht, flötet sie kleine Nettigkeiten vor sich hin. »Hübsch â¦, reizend â¦, sehr niedlich â¦Â« »Sehr niedlich« ist unsere Küche â im Gesamten. Sie sieht hinein und sagt »sehr niedlich«. Hat sie keine Küche zu Hause? Oder einen Palast? Oder hat sie gar nicht richtig hingesehen? (Ich könnte ja mal probeweise die Tür zur Besenkammer öffnen. Wenn sie dann auch »niedlich« sagt, weià ich Bescheid.)
Als sie weiterstöckelt, stelle ich mich vorsichtshalber vor meine Zimmertür. Mit Erfolg, diesen Raum inspiziert sie nicht. Sie öffnet die nächste Tür, lässt den Blick über die spärliche
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