Miss Emergency
mich an, kein bisschen verletzt. »Danke, Mami. Dann möchte ich zum Currykarl.« Immer noch ein Spruch; wer Jenny kleinkriegt, muss erst geboren werden. Oh Mann, wie gern ich sie habe!
M orgen treffe ich mich mit Manuel. Am Samstag frage ich mich beim Aufwachen, wie ich den Tag überstehen soll, ohne nervtötend kribbelig zu werden. Doch ich habe nicht mit Jenny gerechnet. In aller Frühe hat sie eine Ãberraschung für uns vorbereitet. Die eigentliche WG-Schlafmütze wirbelt durch die Wohnung, packt Taschen voller Dinge, die wir nicht sehen sollen, und macht Andeutungen à la »der letzte schöne Tag« und »den Landeiern mal was bieten«. Dann klappert sie strahlend mit einem Autoschlüssel vor unseren Gesichtern herum. »Seid ihr bereit für einen groÃartigen Ausflug?«
Als wir Jennys Taschen nach unten tragen, steht vor dem Haus ein blitzblaues Cabrio. Mit groÃer Geste schlieÃt Jenny den Wagen auf. Wir erfahren, dass sie das schicke Gefährt von Marcus geborgt hat, ihrer aktuellen Romanze (Affäre? Beziehung?). Warum Marcus selbst nicht mit von der Partie ist, wird nicht klar.
»Ich hab mir den doch nur angelacht, weil ich euch mal im Cabrio rumkutschieren wollte!«, behauptet Jenny.
Ich hoffe, dass das ein Scherz ist. Wir besteigen die flotte Kiste und los gehtâs. Die Fahrt ist herrlich, die Sonne scheint, der Wind bläst mir auf der Rückbank eine verwegene Sturmfrisur und etliche Autofahrer hupen uns anerkennend zu.
Kurze Zeit später wird mir klar, dass die anderen Verkehrsteilnehmer nicht immer nur hupen, weil man das eben so macht, wenn drei hübsche Mädchen im Cabrio vorbeifahren. Denn wenn das Hupen und Lichthupen mit Vogelzeigen kombiniertwird, bedeutet es definitiv was anderes, da kann auch Jennys beschönigende Auslegung nichts vertuschen. Die Wahrheit ist: Jenny fährt grauenvoll. Ich habe keinen Führerschein, denn als ich nach dem Abitur vor der Wahl stand, fahren zu lernen oder mit Freunden nach Irland zu reisen, habe ich Papis Geld in Welterfahrung angelegt. Aber vom Mitfahren sind mir doch einige Grundlagen des Autofahrens vertraut â ganz abgesehen von den Basis-Verkehrsregeln, die selbst beim Fahrradfahren gelten. Es gibt Regeln, wer Vorfahrt hat, recht klare Anweisungen, welche Absichten durch Blinken kenntlich gemacht werden müssen, und jede Menge Vorschriften zu Geschwindigkeit und Verkehrsführung.
Jenny pfeift auf sie alle. Sie fährt in halsbrecherischem Tempo durch die Stadt, wechselt quer über alle Spuren und entschlieÃt sich immer erst im letzten Moment zum Abbiegen, Ãberholen oder Bremsen. Im Gegensatz zu uns ist sie keineswegs angstgelähmt, nicht mal besorgt. Im Gegenteil, begeistert ruft sie Dinge wie »Kinder, ist der bombig motorisiert!«, »Huch, der hätte uns fast erwischt!« und »Guckt mal da!«. Besonders schlimm an diesen Besichtigungsaufforderungen ist, dass sie selbst immer am interessiertesten hinüberschaut.
»Guckt mal, der Fernsehturm, was bauen die denn da?« Sie biegt den Kopf zurück und schaut stirnrunzelnd nach oben, ohne nur ein km/h langsamer zu werden. Auch als sie uns das schicke Haus zeigt, in dem ihr Vater seine Privatpraxis hat, bremst sie nicht um einen Hauch ab, während sie hinüberfuchtelt. Das Ergebnis ist jedes Mal eine Vollbremsung, wenn Isa oder ich erschrocken aufschreien.
»Isa, hast du nicht auch einen Führerschein?«, rufe ich nach vorn und setze all meine Hoffnungen in diese Alternative.
Isa dreht sich um, sie ist bleich. »Nein. Du?«
Ich schüttle den Kopf. Unser Blickwechsel bestätigt die brutale Gewissheit: Wir sind ausgeliefert.
»Was ist los, Mädels?«, ruft Jenny fröhlich.
Isa traut sich; die nackte Angst gibt ihr die Kraft, sich zu einer Kritik zu überwinden. »Du fährst ganz schön wild â¦Â«
Jenny lacht. »Bleib locker! Ich fahr seit Jahren unfallfrei!« Wenn das stimmt, muss an dieser Stelle ein höchstes Lob an alle anderen Verkehrsteilnehmer ausgesprochen werden, die es also geschafft haben müssen, immer rechtzeitig zu bremsen oder auszuweichen.
»Das ist ganz normal!«, ruft Jenny. »So fährt man in Berlin.« Nur die anderen Berliner Autofahrer sind darüber offenbar nicht informiert worden.
Nach einer qualvollen Stunde erreichen wir einen einsam gelegenen See. Es ist möglich, dass die Freude darüber, wieder festen
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