Miss Emergency
sein, und gesteht das mit einem so traurigen Lächeln, als sei sie sicher, den Geliebten schon morgen zu verlieren. Sie tut mir leid und ich verspreche, ihr Geheimnis zu bewahren. Du meine Güte, in diesem Pulverfass würde ich doch nicht freiwillig mit herumwühlen. Leider sind Isas Tränen nicht ganz getrocknet, als Jenny aus dem Bad kommt. Isa schützt Stress vor und verschwindet in ihrem Zimmer, doch Jenny sieht mich wissend an.
»Ich wette, sie hat Krach mit dem blöden Paul.« Jenny schenkt sich Kaffee ein und knallt die Kanne kampfeslustig auf den Tisch. »Dem sollte ich mal den Kopf waschen! So ein Idiot, wenn er nicht erkennt, was für eine kluge, liebenswerte Frau sie ist!«
Sehr ritterlich, Jenny, denke ich insgeheim. Mal sehen, was du sagst, wenn du erfährst, wer Isas Klugheit und Liebenswürdigkeit zu schätzen weiÃ.
Zu Isas Pein ist Jenny heute extrem aufmerksam und fürsorglich, um Isa über den vermeintlichen Streit mit Paul hinwegzutrösten. Isas Schuldgefühle werden geradezu als dunkle Wolke über ihrem Kopf sichtbar. Als wir uns an Schwester Klaras Tresen trennen, hält Isa mich zurück.
»Ich muss es ihr sagen«, wispert sie. »Ich schäme mich so!«
Ich knuffe ihr in den Arm, sage »Warte wenigstens bis heute Abend« und gehe. Auf meinem Gang über den Flur denke ich voller Herzklopfen an Manuel â und dann voller Mitleid an die Tragödie der armen Isa. Ich ahne nicht, dass ich dieses Wort nicht hätte an so eine Lappalie verschwenden dürfen. Denn im Laufe des Tages überschlagen sich die Katastrophen bis zur Sprachlosigkeit.
Am Nachmittag fehlt eine Gewebeprobe von Paula Schwab, der Magenkrebspatientin. Jenny selbst hat sie am Morgen unter Dr. Rossâ Aufsicht entnommen. Alle wissen also, dass die Probe genommen wurde â wo sie allerdings abgeblieben ist, ist ein Rätsel. Ich bin eingeteilt, die aktuellen Labor- und Untersuchungsergebnisse in den Patientenakten abzuheften. Jenny kommt herein, als ich etwa die Hälfte abgelegt habe, und fragt nach Frau Schwabs Ergebnissen. Ich durchsuche den Stapel, Paula Schwabs Ergebnisse sind nicht dabei. Jenny durchsucht den Stapel noch einmal, wird aber auch nicht fündig. Dafür wird sie langsam nervös. Sie hat die Ergebnisse dringend erwartet â und genau jetzt einen Termin mit Dr. Ross zur Auswertung. Immer hektischer beginnt sie, alle Patientenakten, die ich schon abgearbeitet habe, noch einmal zu überprüfen. Aber ich bin mir sicher, dass ich keinen Bericht falsch einsortiert habe. Die Ergebnisse von Paula waren nicht da. Eine Minute später erscheint Dr. Ross, um sich zu erkundigen, wo Jenny bleibt. Sie hat nicht ewig Zeit, wer hätte das gedacht. Jenny druckst herum, bis Dr. Ross das Problem versteht. Die Stationsärztin greift zum Telefon und staucht jemanden zusammen.
»Können Sie sich vorstellen, dass wir manche Dinge nicht nur in Auftrag geben, um Ihr Labor am Laufen zu halten?«, schnauzt sie ins Telefon. »Von diesen Ergebnissen hängt die Therapie eines lebensgefährdeten Patienten ab. Ich brauche sie sofort.« Sie knallt den Hörer auf und nickt uns zu. »Die Herren behaupten immer, sie bräuchten zwei paar Tage für so was. Ich schätze mal, sie sind einfach noch nicht fertig und stellen sich deshalb dumm.Wenn die Probe in fünf Minuten nicht hier ist, gehen Sie ins Labor und machen denen Feuer unter dem Hintern!« Jenny nickt und Dr. Ross verschwindet in ihrem Büro. Jenny sieht mich an, angespannt.
»Die Probe ist bestimmt noch im Labor«, sage ich zuversichtlich.
Die Probe ist nicht mehr im Labor. Sie ist dort nie angekommen. Als das Telefon im Arztraum nach einer Minute wieder klingelt, nimmt Jenny ab. Offenbar glaubt der Laborchef, mit Dr. Ross zu sprechen. Jennys Antworten sind stockend, aber der Mann durchschaut sie nicht. Er berichtet der vermeintlichen Stationsärztin, dass alle Proben ausgewertet und die Ergebnisse für den Stationsboten bereitgelegt wurden. Aber eine solche Gewebeprobe war heute gar nicht dabei. Der Mann empfiehlt »Dr. Ross«, mal mit dem stationseigenen Chaos aufzuräumen, ehe sie dem Labor Schlamperei unterstellt. Jenny ist bleich, als sie auflegt. Ich erlebe sie zum ersten Mal sprachlos. Sie beginnt tatsächlich an den Fingernägeln zu knabbern.
»Was mache ich denn jetzt?! Ich kann doch nicht heimlich eine neue Biopsie
Weitere Kostenlose Bücher