Miss Emergency
da könnten Sie jede Menge Männer abschleppen.« Dann ist er verschwunden und ich stehe auf dem Flur wie vom Blitz getroffen.
Ich bin nicht mehr in der Lage, Frau Klein zu besuchen. Ich bekomme mich einfach nicht unter Kontrolle. Ich heule auf dem Weg zum Spind und muss mich zweimal verstecken, als mir jemand entgegenkommt. Ich heule noch auf dem Weg zur S-Bahnund halte mir ein Taschentuch vors Gesicht, als hätte ich Schnupfen. Ich heule sogar noch in der S-Bahn â zum Glück interessiert sich niemand dafür. Erst zu Hause, als ich mich in der leeren Wohnung auf mein Bett werfe, um mich endlich ganz meiner Wut und Enttäuschung hinzugeben, versiegen die Tränen. Klar. Aber auch wenn ich nicht mehr weinen muss, die Wut bleibt. Warum sagt er solche Gemeinheiten? Denkt er wirklich so über mich? Und wie habe ich das hervorgerufen? Sind meine eigenen Vorstellungen von mir im Grunde falsch? Bin ich so eine oberflächliche Tussi, wie er es mir unterstellt? Quatsch, Lena, lass dich doch nicht so niedermachen! Frag dich lieber, was mit Dr. Thalheim nicht stimmt! Warum wollte er mich so unbedingt verletzen? Und wie soll ich mich nun ihm gegenüber benehmen?
Die Wohnungstür klappt, jemand setzt sich an mein Bett. Jenny hat den Sportwagenfahrer sitzen lassen.
»Ich konnte ihn plötzlich nicht mehr sehen«, sagt sie.
Ich rappele mich auf, um sie zu umarmen. »Ist das Leben nicht mies?«, frage ich dumpf an ihrer Schulter.
»Es ist sogar richtig ScheiÃe«, antwortet Jenny. »Ich fliege garantiert raus. Aber warum heulst DU eigentlich?«
Ich wiederhole das Gespräch mit Thalheim â und es ist wundervoll, wie Jenny ausflippt. Sie wird sogar, falls das möglich ist, noch wütender als ich.
»Dieser selbstgefällige Idiot«, faucht sie. »Wenn er nicht zu seinen Gefühlen stehen kann, soll er sich doch einen Psychiater suchen!«
So drastisch habe ich noch nicht gedacht. Aber für Jenny steht natürlich fest, dass Dr. Thalheim nur deshalb so aggressiv reagiert hat, weil er in mich verliebt ist und mich unbewusst dafür bestrafen möchte, dass ich mich nicht auch in IHN verliebt habe. Ich weiÃ, dass das Quatsch ist. Aber auch als fadenscheinige Erklärung ist es doch Balsam auf meine gekränkte Seele.
»WeiÃt du, was wir jetzt machen?« Jenny zieht mich vom Bett hoch. »Wir fahren nach Kreuzberg zum Currykarl. Immerhinhast du mir den Ausflug versprochen. Und zur Strafe für die ganze Welt machen wir uns nicht mal hübsch!«
Hätten wir nicht wegen Kummers jedes Recht auf Exzentrik, würde ich es völlig übertrieben finden, für eine Currywurst eine halbstündige Busfahrt zu unternehmen. Jenny meint, das läge nur daran, dass ich Currykarl nicht kenne. Als wir aus dem Bus steigen, mitten in Kreuzberg, überkommt mich fast Urlaubsstimmung. Um uns herum bunte Läden, Cafés und Musik, fremde Sprachen, exotische Gerüche. Alte Herren mit runzligen, sonnengebräunten Gesichtern sitzen vor einer Teestube. Kichernd überholt uns eine Gruppe verschleierter Mädchen. Jenny lenkt mich um zwei Ecken, wir landen auf einem kleinen Platz. Der Currykarl ist ziemlich klein, eher eine Bude. Vor dem Imbiss steht eine lange Schlange und ich finde es ein bisschen idiotisch, dass wir uns auch anstellen. Ãberall riecht es köstlich nach ausgefallenen Leckereien und wir sollen Currywurst essen, für die wir auch noch anstehen müssen?!
Jenny lacht nur. Nach 10 Minuten trägt sie zwei überladene Pappschälchen aus dem Imbiss, ergattert einen der Stehtische an dem kleinen Platz und kredenzt mir die beste Currywurst meines Lebens. Ich nehme alles zurück und halte auch eine doppelt so lange Anreise für absolut gerechtfertigt. Nicht nur wegen des guten Essens, auch die Stimmung an dem Platz ist herrlich. Leute flanieren vorbei, ein paar Jungs liegen auf einem Rasenstück und kiffen ungeniert. Auf einer Bank sitzt ein Mädchen mit einer Gitarre und singt Lieder über ihre Oma und den Sommer in Berlin; manche sind sehr komisch, andere wunderbar melancholisch. Nach der zweiten Portion sind Jenny und ich pappsatt, aber ich kann mich noch nicht trennen. Der Currykarl verkauft Prosecco in Büchsen; belustigt verkosten wir das metallisch schmeckende Gebrizzel. Es stimmt zwar: Für ihre Verhältnisse ist Jenny heute unaufwendig gestylt â das heiÃt aber nicht, dass uns nicht
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