Miss Emergency, Band 4: Miss Emergency , Operation Glücksstern (German Edition)
in unserer Küche. Dann sieht Jenny auf und fragt mitten in die Lern-Arie: »Glaubt ihr, man könnte aus der Klinik einen Rollstuhl borgen?«
Perplex erkundigen wir uns nach dem Grund dieses verschrobenen Ansinnens, aber Jenny winkt ab. »Vergesst es, ich frag selbst.«
Wir haben grade wieder die Konzentration für die nächste Buchseite zusammengekratzt, als sie erneut grinsend aufschaut.
»Und so richtig schlabbrige Blümchenkleider? Habt ihr so was?«
Auch diesmal stimmen unsere verwirrten Blicke sie sehr vergnügt, wieder erklärt sie sich nicht. Ich besitze kein Blümchenkleid und werde mir sicher auch keins zulegen – schon gar nicht, wenn ich nicht erfahren darf, wofür ich es brauchen sollte.
Nach nur fünf Minuten Schweigen geht es schon wieder los. »Kann eine von euch stricken? Oder so TUN, als könnte sie es?«
Mit einem Knall klappe ich mein Buch zu. Und Jennys.
Dann verschränke ich die Arme und sehe sie so lange starr mit meinem Möchtegern-Hypnoseblick an, bis sie seufzt und nachgibt.
»Wir könnten all unsere Jahre zusammenschmeißen und einen richtigen Oma-Geburtstag feiern«, schlägt sie vor. »Mit Dutt und Kopftuch, Kaffee und Kuchen und diesen silbernen Zahlen. Wir zwingen kleine Kinder, für uns Gedichte aufzusagen, die sich nicht reimen, und am Ende wird zu Akkordeonmusik geschunkelt.«
»Wieso sollten wir so was tun?«, fragt Isa.
»Unsere Geburtstage liegen nur ein paar Wochen auseinander«, erklärt Jenny, »also dachte ich, wir feiern zusammen.«
Natürlich. An unsere Geburtstage habe ich noch keinen Gedanken verschwendet! Vielleicht, weil es nach MEINEM Jahrestag nur noch wenige Wochen sind bis zur Prüfung – und ich, solange ich mich noch nicht auf das eine vorfreue, auch noch nicht wahrhaben muss, wie schnell dann das andere folgt.
Aber: ja! Es wäre großartig, zusammen zu feiern.
Nur: nein! Das sollten wir uns vor den Prüfungen wohl nicht mehr leisten.
Isa ist meiner Meinung. Es wäre schön – in einem anderen, nicht Vorprüfungs-Leben. Sie findet, wir sollten die Party nach dem Examen nachholen. Jenny zieht ein Gesicht. Doch ich muss Isa zustimmen. »Wir machen dann später eine große Party«, entscheide ich. »Alle zusammen.« Jenny schweigt ein bisschen beleidigt. »Trotzdem darfst du an deinem Geburtstag gern mit Dutt und Lesebrille lernen«, tröste ich und kassiere klaglos die zwei bis vier Schmähungen, die Jenny als Entgegnung für angemessen hält.
Nach der PJ-Fortbildung ist auch bei Jenny keine Rede mehr von Feierei. Dr. Thiersch hat uns den Chirurgie-Lehrstoff regelrecht um die Ohren gehauen. Die Oberärztin hat tausend Themen angerissen, eins komplizierter als das andere, und sie mit Sätzen eingeleitet und abgeschlossen, die mehr oder weniger alle lauteten: »Wenn das drankommt, sind Sie geliefert.«
Wir wissen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit Dr. Thiersch selbst die Prüfung halten wird, und verstehen: »Wenn ICH DAS DRANNEHME, sind Sie geliefert.« Was sie ganz sicher auch meint.
Nachfragen pariert sie mit: »DAS können Sie zu Hause nachlesen. Falls Sie es noch nicht wussten – Lesekompetenz wird zur Prüfung vorausgesetzt.« Bis niemand mehr wagt, sich zu melden.
Warum stellt sie nicht gleich ein Tonband hin?! Das könnte man erstens kurz anhalten, wenn sich die Schreibhand von denhastigen Mitschriften so verkrampft, dass man hinterher nichts mehr entziffern kann – und zweitens müsste man dann nicht auch noch ihren eiskalten Killer-Blick ertragen, der einen schon erwischt, wenn man nur DENKT, dass man das jetzt nicht ganz verstanden hat. Denn für so was hat sie ein untrügliches Gespür.
Die Einzige, der sie nichts anhaben kann, ist Isa. Unsere Freundin hat auch das Wahltertial in der Chirurgie absolviert und auf ihre stille, fleißige Art die Anerkennung der Oberärztin erobert. Das zeigt sich zwar nur daran, dass Dr. Thiersch Isa ansieht, wenn sie uns andere mit: »Es bestehen sowieso nur ein paar von Ihnen« demotiviert, aber mir ist aufgefallen, dass Isa als Einzige zu den hochkomplizierten Erklärungen nickt.
»Du musst uns helfen«, japse ich atemlos, kaum dass wir den Schulungsraum verlassen haben.
Isa nickt mir beruhigend zu. »Ich wette, sie lässt keinen durchfallen«, flüstert sie. »Sie ist der geradeaus-fiese Typ, aber hinterhältig-gemein ist sie nicht.«
Trotzdem: Wenn ich all das, was heute im Schnelldurchlauf vorbeirauschte, nicht binnen zweier Monate beherrsche, braucht es keine Hinterrücks-Gemeinheit, um
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