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Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept

Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept

Titel: Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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blasse Patientin wirkt jetzt fast durchsichtig, voller Angst sieht sie mich an. »Wir haben es nicht geschafft«, flüstert sie kraftlos.
    »Das dürfen Sie nicht denken!«, widerspreche ich. »Sie haben sehr lange sehr gut durchgehalten. Und jetzt bringen wir Pünktchen auf die Welt.«
    Ich sage das, als sei es das Ziel all unserer Bemühungen gewesen, den heutigen Tag zu erreichen. Als sei jetzt alles kein Problem mehr. 33. Woche. Hoffnungslos ist es nicht. Babys, die nach der 29. Schwangerschaftswoche auf die Welt kommen, habeneine Überlebenswahrscheinlichkeit von etwa 60 Prozent. Eine Zahl, die man der werdenden Mutter niemals sagen darf. Aber an die man sich wenigstens als Ärztin klammern kann.
    »Was soll ich tun?«, frage ich Dr. Seidler. Die Antwort, die ich bekomme, ist kryptisch und doch umfassend. »Helfen«, sagt sie, ohne mich anzusehen.
    Während Dr. Seidler sich vor dem Entbindungsbett positioniert, nimmt Luis Berger Frau Frischs Hände in die seinen und beruhigt die Patientin. Frau Frisch weint hilflos, ich kann es kaum ertragen. Sollte ihr nicht jemand beistehen, den sie kennt? Warum ist keiner da, um ihr zu helfen? Was kann ich für sie tun?
    »Das Kind liegt richtig«, erklärt Luis Berger sanft. »Wir kriegen es natürlich. Ist das nicht eine Erleichterung?« Sein Optimismus in allen Ehren, aber – denkt er wirklich nicht weiter? Oder ist diese Verharmlosung auch nur ein Schutzmechanismus?
    »Spekulum«, sagt Dr. Seidler. Frau Frisch steht also eine Spiegelentbindung bevor. Frühgeborene sind extrem empfindlich gegen Druckeinwirkung, deshalb muss die Geburt so schonend wie möglich ablaufen. »Kommen Sie!« Das ging an mich. Ich ziehe mir einen der weißen Hocker neben den der Stationsärztin. Und dann geht es los.
    Dr. Seidlers behandschuhte Finger zittern kein bisschen, als sie nach den zwei gebogenen Spekula greift.
    Ja, ich habe Geburtsvideos gesehen. Jede Menge. So lange, bis ich sie mit ruhigem und nüchternem Arztblick anschauen konnte – und nichts anderes mehr gesehen habe als einen technischen Vorgang. Was ich heute sehe, ist weiß, weiß, weiß, dazwischen Fugen, weiße Quadrate, sieben mal acht sind es im Blickfeld der geburtsvideotrainierten Fast-Ärztin. Der sterile Kreißsaal-Fußboden. Ich kann einfach nicht aufschauen. Super, Lena, ganz hohe Schule!
    »Jetzt kommt er«, sagt Dr. Seidler. Und endlich schaffe ich es, den Blick von den weißen Quadraten zu heben.
    Blut, Schwärze, Angstgeruch.
    Und dann ein Wunder. Einfach so.
    Ganz sanft leitet Dr. Seidlers Hand den kleinen Kopf nach außen.
    Um 16.43 Uhr erblickt Pünktchen das Licht der Welt.
    Ein richtiges Kind, winzig klein, bläulich, verschrumpelt, verschmiert. Unfassbar.
    Für eine Millisekunde bleibt die Welt stehen.
    »Hallo«, sagt Dr. Seidler.
    Dann setzen die Geräusche wieder ein, jetzt muss alles ganz schnell gehen.
    »Nabelschnur«, nickt die Stationsärztin in meine Richtung. Die Schwester reicht mir die Klammern.
    Eigentlich wartet man mit der Abnabelung ein paar Minuten. Bei einer normalen Geburt würde Frau Frisch jetzt ihr Baby auf den Bauch gelegt bekommen. Es zum ersten Mal ansehen, spüren. Pünktchen aber braucht sofort Hilfe; Dr. Mewes steht bereits neben mir.
    Bei einer normalen, glücklichen Geburt könnte die erschöpfte Mutter jetzt entscheiden, wer die Nabelschnur durchtrennen darf – vielleicht stünde ein sprachloser frischgebackener Vater neben ihr, der diese Aufgabe mit zitternden Fingern erfüllen würde. Frau Frisch und Pünktchen haben niemanden, der das für sie tut.
    Luis und ich legen in aller Eile zwei Klammern in der Mitte der Nabelschnur an. Ich schneide dazwischen. Eine einzige Bewegung, Blut, schon übernimmt Dr. Mewes das Baby und trägt es hinüber zum vorgeheizten Behandlungstisch. Sofort nach der Erstuntersuchung muss Pünktchen in den warmen Brutkasten, Frau Frisch darf ihr Kind nicht für eine Sekunde halten. Der Blick, mit dem sie ihr zartes, winziges Baby ansieht, flackert. »Lebt es?«, fragt sie schwach.
    »Ja!« Ich war vielleicht gar nicht gefragt, aber ich kann nicht an mich halten. Im nächsten Moment stehe ich schon am Kopfende des Entbindungsbetts und drücke der vollkommen entkräfteten Patientin die Hände. Meine Stimme überschlägt sich. »Er lebt. Er kann es schaffen!« Frau Frisch zittert, sie weint. Ihr Gesichtverschwimmt, ich sehe sie durch einen Nebel. Ja, jetzt muss auch ich heulen, ganz schnell wischt mein Kittelärmel durch mein Gesicht. Es

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