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Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept

Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept

Titel: Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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ist nicht nur Erleichterung. Ich habe Pünktchen gesehen, so klein, so hilflos. Ich weiß, welche Komplikationen es bei Frühgeborenen geben kann. Gehirnblutungen, Lungenfunktionsstörungen, Atemstillstand.
    Denk nicht daran, Lena, nicht eine Sekunde!
    Frau Frisch hat es noch nicht überstanden, die Nachgeburtsphase beginnt, noch einmal Wehen, noch ein bisschen durchhalten.
    Ich trete zu Dr. Mewes an den Untersuchungstisch. Das Baby wirkt noch winziger in seinen großen Händen. Er untersucht es behutsam, sein Blick ist ernst. Dr. Mewes ist Neonatologe, also auf Neugeborenenmedizin spezialisiert. Den APGAR-Test führt er in aller Schnelle durch, erklärt mir dabei aber ruhig, was er feststellt. Pünktchens Herzfrequenz ist niedrig, er atmet flach und schreit noch nicht, gibt nur ein Wimmern von sich. Nach Dr. Mewes’ Ansage fülle ich das Untersuchungsprotokoll aus.
    Der APGAR-Score gibt Neugeborenen bis zu 10 Punkte. Bei 4–7 Punkten gilt der Säugling als gefährdet, unter 4 bedeutet »akut lebensgefährdet«. Pünktchen erreicht nur 4 Punkte. Ich weiß, dass man Frühgeborene mit dem Score nur notdürftig beurteilen kann. Trotzdem ist klar: Pünktchen ist schwach, vielleicht zu schwach.
    Dr. Mewes wiegt den Kleinen. 1900 Gramm. 600 Gramm zu wenig. Der Kinderarzt seufzt. Und das ist schrecklicher und wirkt hoffnungsloser als seine ganze Aufzählung von Pünktchens Defiziten.
    In aller Schnelle wird die Nabelschnur weiter gekürzt, der Arzt bringt die Plastikklammer an Pünktchens Bauchnabel an, dann trägt er den Kleinen nach nebenan. »Atemhilfe«, sagt er. »Magensonde.« Schon sind die beiden verschwunden.
    Pünktchen wird in den Brutkasten gelegt, wahrscheinlich wird seine Atemluft darin zusätzlich mit Sauerstoff angereichert, vielleicht muss das Baby sogar vorübergehend künstlich beatmetwerden. »Magensonde« bedeutet, dass Pünktchen noch keinen Saugreflex hat und über eine Sonde ernährt werden muss.
    Alles, denke ich, alles ist erträglich. Hauptsache, er schafft es!
    Dr. Seidler und Luis Berger betreuen Frau Frisch während der letzten Geburtsphase. Die Plazenta wird ausgestoßen, Dr. Seidler überprüft sie auf Vollständigkeit. Dann hat Frau Frisch die Geburt hinter sich gebracht. Und doch noch nichts überstanden.
    »Wann kann ich ihn sehen?«, fragt sie, als Luis ihr Bett aus dem Kreißsaal rollt.
    »Bald«, sagt Luis sanft. »Jetzt müssen Sie sich erst einmal ausruhen.«
    Ich bleibe allein mit Dr. Seidler im Kreißsaal zurück. Die Stationsärztin zieht langsam ihre Handschuhe aus. »Sie soll ihn sehen, sobald er versorgt ist«, sagt sie leise. »Sie muss ihn wenigstens gesehen haben.«
    Weiß, Fuge, weiß, Fuge, weiß. Ich zähle die Bodenfliesen. 22, bevor ich meiner Stationsärztin wieder ins Gesicht schauen kann. Sie glaubt nicht, dass Pünktchen es schafft.
    »Aber er hat doch eine Chance!« Ich will es nicht wahrhaben. »60 Prozent schaffen es!« Als könnte die Statistik irgendwie helfen. Als könnte ich Pünktchens Chancen größer reden, wenn ich ignoriere, dass es bei seinen Untersuchungsergebnissen vielleicht bloß noch 40 Prozent sind.
    »Oder nicht?«, frage ich leise. Weiß, Fuge, weiß.
    »Doch«, antwortet Dr. Seidler. »Ich will mich nur lieber noch nicht an den Gedanken gewöhnen.«
    Aber ich will es! Ich will mich daran gewöhnen. Bitte, bitte, nur für heute!

I ch kann noch nicht nach Hause gehen. Ich will bei Pünktchen bleiben, solange seine Mutter schläft. Ich weiß, dass es nicht nötig ist; die Frühchenstation wird rund um die Uhr bewacht. Von Leuten, die im Ernstfall besser wüssten, was zu tun ist, als ich. Aber ich habe das Gefühl, den kleinen Kerl im Stich zu lassen, wenn ich jetzt Feierabend mache.
    Meine Freundinnen verstehen mich. Ruhig schließen sich beide an, als ich abends die Frühchenstation ansteuere. Und kaum haben wir den Raum betreten, bin ich unsagbar froh, nicht allein zu sein. Denn Pünktchens Anblick zieht mir das Herz zusammen und nimmt mir für einen Moment die Luft.
    Das winzige Baby ist über zahllose Schläuche und Kabel an die Geräte angeschlossen, die ihm beim Atmen und bei der Nahrungsaufnahme helfen und seine Vitalfunktionen überwachen sollen. Pünktchen wirkt ungeheuer zerbrechlich.
    »Wisst ihr noch, wie wir uns auf der Kinderstation die Liebesgeschichte zwischen Kira und Bengt ausgesponnen haben?«, fragt Isa leise. »Das ist das Schlimmste hieran. Dass man sich nicht traut, für Pünktchen eine Zukunft

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