Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
ist nur knapp an der Sündenbock-Rolle vorbeigeschrammt ist, aber das hat sie schon vergessen.
In der nächsten Sekunde vergesse auch ich alles um mich herum. Denn Dr. Ross, die Stationsärztin der Inneren, betritt die Cafeteria an der Seite einer älteren Dame. Mehrere Ärzte grüßen. »Dr. Paulsen«, fragt jemand nett, »haben Sie sich schon eingelebt bei uns?« Ich weiß, wer sie ist. Die Interims-Oberärztin. Der Ersatz für Tobias.
Ich bin froh, dass es kein Mann ist. Das hätte mich vielleicht in eine unangenehme Lage gebracht; sicher wäre meine Reaktion auf den neuen Oberarzt von ein paar Krankenhausklatschmäulern anzüglich-kritisch-spöttisch beobachtet worden. (Na? Gefällt der ihr auch?) Aber ich kann es nicht gut ertragen, wie nett alle mit Dr. Paulsen umgehen, wie normal. Haben sie Tobias schon vergessen? Finden sie es vielleicht sogar angemessen, dass er seinen Posten geräumt hat? Und bedeutet ihre Freundlichkeit,dass Dr. Paulsen ihren Job gut macht, von den Kollegen vielleicht sogar lieber gemocht wird als der wortkarge, immer etwas verschlossene Tobias?
Lena, du wünschst dir doch nicht ernsthaft, dass die neue Oberärztin der Inneren eine Versagerin ist?! Oder gar verhasst! Nein. Was ich mir wünsche, ist, dass diese nett lächelnde Frau auf der Stelle im Erdboden versinkt. Verschwindet. Niemals hier war. Dass ER an ihrer Stelle sitzt und vielleicht zu mir herübersieht.
Du würdest kein Wort mit ihm wechseln dürfen, Lena. Oder ertragen müssen, wie alle alle alle hinter deinem Rücken zu tuscheln beginnen, wenn du dich ihm näherst. Wolltest du trotzdem tauschen, immer noch? Die Antwort ist Ja, Ja und Ja. Ich würde alles ertragen. Für einen einzigen Blick.
Du bist kein bisschen geheilt, Lena!
Ganz schnell stehe ich auf und gehe. Ich muss hier raus, so dringend wie nie zuvor.
Nach der Mittagspause widme ich mich wieder Frau Rühlemann, die Drainagen müssen gezogen werden. Schon morgen kann die Patientin mit den krankengymnastischen Übungen beginnen. Ich kündige ihr den Besuch des Physiotherapeuten an. »Ach Gottchen«, winkt sie ab. »Das kann ich doch allein.« Hmpf. Selbst wenn sie die höchstpersönliche Erfinderin der Physiotherapie wäre – ich bin sicher, niemand würde zulassen, dass sie sich am dritten Tag nach einer OP selbst rehabilitiert.
Ich weiß nicht, wer als Therapeut für die Patientin vorgesehen ist; ich kenne die Physiotherapeuten nur vom Sehen. Aber ich bin mir sicher, dass Frau Rühlemann ihn auf Herz und Nieren prüfen wird. Und ein bisschen kann ich das sogar verstehen. Ich muss nur daran denken, wie ich mich selbst – schon als Anfängerin – beim Arztbesuch benehme. (Ich weiß, welche Vorlesungen die langweiligsten sind und welche Prüfungen ich nur mit Heulen und Zähneklappern bestanden habe. Natürlich frage ich mich automatisch, ob der Arzt, der mir gegenübersitzt, sich durch die Chemieprüfung auch nur durchgezittert hat oder inBiometrie wie ich mit dem Schlaf kämpfen musste – und was das über seine Befähigung aussagen könnte, meine Bronchitis zu heilen.)
Während Frau Rühlemann mir auseinandersetzt, wie sie selbst ihre Reha angehen würde, überlege ich, ob es unter den Physiotherapeuten nicht einen netten jungen Mann gibt. Eine Frau wird die Patientin vielleicht gnadenlos herumschikanieren, einen jungen Herrn aber nimmt sie möglicherweise unter ihre Fittiche. (Ist das Sexismus, wenn man darum bittet, für eine etwas schwierige Patientin einen hübschen, jungen, männlichen Kollegen abzustellen?)
»Der Therapeut wird Ihnen sicher gefallen«, sage ich aufs Geratewohl – und habe das Gefühl, mal wieder eine periphermedizinische Situation mit Herz und Verstand gelöst zu haben.
Ich entspanne mich gerade etwas und klopfe Frau Rühlemann ein »Es wird schon« auf den Arm, als eine Schwester die Tür aufreißt. Wo gibt’s denn so was – sie sollte klopfen! Die Schwester ist ganz rot im Gesicht. »Haben Sie einen Moment?«, fragt sie.
Ihre künstliche Selbstbeherrschung täuscht Frau Rühlemann. Mich aber nicht. Eine Sekunde später stehe ich auf dem Flur. »Schnell«, haucht die Schwester. »Bei Frau Frisch geht es los!«
Im Kreißsaal sind schon alle versammelt: Dr. Mewes, der Kinderarzt, den ich bereits von der Perkins-Entbindung kenne, Dr. Seidler, eine Schwester und Luis Berger, die freundliche Hippie-Hebamme. Frau Frisch liegt im Entbindungsbett, also kein Kaiserschnitt – wenigstens das bleibt ihr erspart.
Meine
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