Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
Kindes sei mit 150 Schlägen pro Minute viel zu hoch, bremse ich ihn, so herablassend ich kann. Denn dieser Puls ist kurz vor der Geburt absolut normal. (Vielleicht hätte ich nicht anfügen müssen, dass man das auch in jedem Babybuch nachlesen kann.)
Als ich mit Luis die Aufnahmen auswerte, frage ich ein bisschen abschätzig, ob es irgendeinen Vater gebe, der bei der Geburt nicht durchdreht. Luis lächelt. »Wäre das nicht schade? Das würde doch bedeuten, dass es ihn kaltlässt, oder?« Klar gibt es Väter, die die Kindsgeburt nicht mehr aufregt als die Lieferung eines neuen Sofas. Aber Luis findet das sehr viel trauriger – für Mutter, Kind UND Vater. Lieber fängt er einen Ohnmachtsvater vor dem Kreißsaalbodenaufschlag ab. Ich gebe ihm recht.
In dieser letzten Aufnahme zupft übrigens eine gemeine Verführung charakterlos an meinem Kittelsaum. Denn die Schwangere mit dem Schlaumeiervater verrät uns stolz, welch hübscherName für den kleinen Jungen in ihrem Bauch vorgesehen ist. August. Ein echt schöner Name. Ich kann nicht umhin, mich zu fragen, wie er wohl Frau Frisch gefallen würde. August Frisch. Klingt doch irgendwie gut, oder?
Die Verlockung ist groß. Dieses Kind kommt ja frühestens heute Nacht … Und Pünktchen ist schon auf der Welt. Und noch namenlos. (Weggegangen, Name geklaut? Damit hast du nicht gerechnet, Schlaumeiervater, was? Aber du alter Auskenner hast doch bestimmt noch fünfzig andere schöne Namen in petto!) Ich bin kurz davor zu antworten: »Ja, hübscher Name. Und sehr beliebt. Erst vorgestern haben wir den letzten ›August‹ entbunden.« Ich bin überzeugt, sie würden einen Rückzieher machen – und ich könnte so hinterrücks den Namen für Pünktchen Frisch sichern. Erst als die Mutter nachfragt, ob ich ›August‹ etwa nicht hinreißend finde, kehrt mein Anstand zurück. Wer weiß, wie lange diese beiden gesucht haben. Und ob der Name nicht vielleicht das Einzige ist, was die Frau mit dem Schlaumeiermann selbst bestimmen darf. Mein Gewissen setzt wieder ein, ich lobe die Originalität und akzeptiere, dass die Messlatte für Pünktchens Namensgebung dadurch gerade richtig hochgelegt wurde. (Denn ich will unbedingt, dass »mein« Baby mit einem noch schöneren Namen entlassen wird. Als könnte ihn das für die Tage im Brutkasten entschädigen. Oder gar dafür, dass ihn und seine Mutter kein Schlaumeiervater beschützt.)
Am Abend besuche ich Frau Frisch noch einmal, um mich nach dem Fortschritt der Recherche auf ehrlichem Wege zu erkundigen. Luis Bergers Vornamenbuch liegt auf dem Nachttisch. Zugeklappt. Es steckt auch kein Lesezeichen drin. Hat Schneewittchen die Suche verschoben – oder aufgegeben?
»Keinen Erfolg?«, frage ich und bedauere jetzt doch, dass ich zu anständig bin, um ihr den schönen Namen ›August‹ zu apportieren.
Frau Frisch lächelt. »Ich brauchte das Buch gar nicht. Kaum hatte ich es in der Hand, ist mir der Name eingefallen.«
Na, das ist doch mal schön! Neugierig setze ich mich an ihr Bett. Frau Frisch sieht mich so erwartungsvoll an, dass ich sofort beschließe, in jubelnde Zustimmung auszubrechen, selbst wenn sie mir ›Maik-Mirko‹ als Vorschlag unterbreitet.
»Wissen Sie«, beginnt sie leise, »ich wünsche mir nichts sehnlicher für meinen Kleinen, als dass er groß und stark, gesund und glücklich ist. Und kein hilfloses Pünktchen bleibt. Aber gleichzeitig möchte ich nicht vergessen, dass er ein Pünktchen war, als er geboren wurde. Dass ich für nichts auf der Welt dankbarer bin als dafür, dass er bei mir bleiben durfte. Mir ist ein Name eingefallen, der beides erfüllt.« Sie macht eine aufgeregte Pause. »Was halten Sie von Anton?«
Ich muss grinsen. Und keine Jubelrufe faken. ›Anton‹ ist perfekt.
»Ich darf gleich noch mal zu ihm«, flüstert Frau Frisch. »Dann sage ich es ihm.«
Den Feierabend verschiebe ich eine halbe Stunde, um dabei zu sein, wenn Frau Frisch den Winzling auf ihren Bauch legen darf und ihn zum ersten Mal mit seinem neuen Namen anspricht. Anton. Ist das nicht tausendmal schöner als August?!
Höchst zufrieden schlendere ich an diesem Abend neben meinen Freundinnen nach Hause – der abendliche Vorfrühlingsmatsch, über den die beiden ein bisschen fluchen, kann meiner Stimmung nichts anhaben. Ich überlege, ob ich nicht zusätzlich zum obligatorischen Entlassungsblumenstrauß des Krankenhauses dem kleinen Anton ein persönliches Geschenk machen könnte. Leider bleibt die großartige,
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