Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
einem Grinsen. »Sie ahnen nicht, wie oft ich das schon gebraucht habe!« Ich kann mir nicht vorstellen, dass allzu viele Eltern zur Entbindung in die Klinik einreiten, ohne sich vorher Gedanken über die Namensgebung für den Nachwuchs gemacht zu haben. Doch glaubt man unserer Hippie-Hebamme, kommt das in regelmäßigen Abständen vor. Luis Berger behauptet, dass viele der Mütter, die sich vom Geschlecht des Babys überraschen lassen wollen, trotzdem nur ernsthaft über Namen EINES Geschlechts nachdenken – und dass die dann mit schöner Vorhersehbarkeit ein Kind des anderen Geschlechts bekommen. Die abgegriffenen Seiten seines Namensbuches sprechen dafür, dass er nicht übertreibt.
Zufrieden lege ich Frau Frisch das Büchlein auf die Bettdecke. Wenn doch bei allen Patientensorgen so leicht Abhilfe zu schaffen wäre!
Für die nächsten zwei Stunden bin ich zur Anamnese eingeteilt und nehme neue Patientinnen auf, als wäre ich allein dafür zuständig, unsere Station möglichst schnell möglichst rettungslos überzubelegen. Leider bin ich dabei heute nicht für die Schwangeren zuständig, sondern für Patientinnen, die zu größeren gynäkologischen Eingriffen stationär aufgenommen werden. Tumoroperationen, Zystenentfernungen, Bauchspiegelungen. Eigentlich ist meine Aufgabe – rein technisch gesehen – nicht schwierig. Ich führe die Eingangsuntersuchung durch, stelle Fragen und fülle die Aufnahmebögen aus. Doch das Unangenehme sind nicht die Fragen, die ich stellen muss, sondern jene, die mir gestellt werden.
»Dann kann ich keine Kinder mehr bekommen?«, fragt leise eine junge Frau, und ich muss verneinen. »Die Sterblichkeitsrate bei so was ist nicht hoch, oder?«, fragt eine ältere Dame, ohnemich anzusehen. »Nein, nein«, sage ich und denke: fünf Prozent in Ihrem Alter. Also von hundert Frauen jede zwanzigste. Ich muss das sachlich betrachten, ganz nüchtern. Ich habe auch keinen Grund, daran zu zweifeln, dass wenigstens 99 Prozent der Patientinnen in absehbarer Zeit genesen und entlassen werden. Aber die Unsicherheit und Angst der Patientinnen überträgt sich auf hinterhältige Weise auf mich.
Offenbar kann man mir ansehen, dass mich die OP-Aufnahme ein bisschen mitgenommen hat. Als ich die Bögen in den Arztraum trage, treffe ich dort auf Dr. Zhōu, die mich mitleidig ansieht. »Na?«, fragt sie. »Haben Sie uns viel zu schnippeln mitgebracht?« Ich nicke. All diese Anamnesebögen kommen ja nicht unerwartet, die OPs sind terminiert. »Wissen Sie was?« Sie nimmt mir die Formulare ab. »Wenn ich einen Vormittag die Aufnahmen für OPs gemacht habe, lasse ich mich danach immer gleich für die Geburtshilfe-Aufnahmen einteilen. Damit man nicht so miese Stimmung kriegt.«
Okay. Schön, dass die OP-Aufnahmen nicht nur mich deprimieren. Und eine prima Idee. Wenn irgendwas jetzt meine Laune heben kann, dann eine Schar gesunder Mütter, die ich zu ihren termingerechten Entbindungen aufnehmen darf. Dr. Zhōu verspricht, mich am Nachmittag für die Kreißsaal-Aufnahme einzuteilen und ich bedanke mich erleichtert – auch wenn »gesund« und »termingerecht« natürlich nicht zwangsläufig garantiert ist.
In der Mittagspause wartet leider schon die nächste unangenehme Überraschung. Isa zittert, als sie uns empört und bedrückt von den neusten Entwicklungen des PJler-Kleinkriegs berichtet. Sie hat keine Ahnung, ob ihr gestriges Gespräch mit Dr. Gode beobachtet wurde – feststeht: Die Kollegen unterstellen ihr jetzt unlauteren Wettbewerb und dass sie beim Stationsarzt über die Mit-PJler tratscht. Ich kann mir schon vorstellen, wie die Kollegen zu diesem Schluss kommen, immerhin war ich im letzten Tertial selbst diejenige, die er während der Visite offen bevorzugt hat. Wenn Dr. Gode Isa ebenso liebenswürdig fördert, kann ein fies-misstrauisches Gemüt schon den Verdacht entwickeln, dassIsa sich diese Gunst durch die Denunziation der Mobbingsünden anderer verdient haben könnte. Jedenfalls munkeln die PJler jetzt, Isa wäre von Dr. Gode darüber informiert worden, dass es keinen Freiarbeitstag gibt. Und alle anderen nicht. Dass keiner von ihnen sich bei dem Stationsarzt rückversichert hat, vernachlässigen sie bei dieser Unterstellung einfach mal ebenso grob, wie dass Isa den Aushang gar nicht gesehen hat – wofür sie doch selbst gesorgt haben. Es ist ganz eindeutig: Sie brauchen einfach dringend einen neuen Grund, Isa zu hassen. Irgendwas hat sich da schrecklich
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