Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
in der Obhut einer Schwester allein. Dr. Seidler winkt mich in ihr Büro.
»Wenn es nicht besser wird, müssen wir das Kind per Sectio holen. Möchten Sie assistieren?«
Für eine Sekunde finde ich keine Worte. Ja. Ich würde gern bei einem Kaiserschnitt assistieren. Aber nicht so. Ich würde gern ein Baby auf die Welt holen, das keine Lust hat, von alleine zu kommen. Aber keins, das vielleicht die Nacht nach der Geburt nicht überlebt.
Du bist Ärztin, Lena! Es spielt keine Rolle, was du möchtest. Nur was getan werden musst.
»Ja«, sage ich entschlossen. »Wenn das Kleine geholt werden muss, wäre ich gerne dabei.«
Die Stationsärztin nickt. »In einer Stunde wissen wir Bescheid.« Sie entlässt mich mit einem Winken.
Zum Glück habe ich keine Zeit, mich in Frau Heinzes Ruhestunde verrückt zu machen. Denn heute bin ich zum ersten Mal im neuen Tertial zu einer OP eingeteilt.
»Dr. Al-Sayed hat Sie für eine Bauchspiegelung eingetragen«, erklärt mir Schwester Evelyn und schiebt einen ihrer knitterfreien, druckfrischen Pläne über den blitzweißen Tresen. »Die Patientin ist heute Morgen reingekommen. Dr. Al-Sayed sagt, Sie können das.«
Zuerst bin ich perplex – muss man so was einer PJlerin nicht ankündigen?! Die Assistenz bei einer Bauchspiegelung ist zwar keine Herzklappentransplantation, aber ich gäbe doch einiges für die Möglichkeit, mich vor dem Antritt im OP-Saal sicherheitshalber noch einmal mit dem Lehrbuch im Arztraum verkriechen zu können. Dann aber überflutet mich eine kleine Stolz-Welle. »Dr. Al-Sayed sagt, Sie können das.« Das ist doch das Ärztinnen-Gefühl, das du immer haben möchtest, Lena! Keiner fragt dich mehr, ob du dir etwas zutraust, niemand geht mehr davon aus, dass du vor einer OP eine halbe Sicherheits-Lehrbuchstunde einlegen musst. »Ah, eine Bauchspiegelung … kein Problem, Dr. Weissenbach ist frei.« So soll es doch sein – später! Und »später«, Lena, ist jetzt einfach schon mal HEUTE.
»Kein Problem«, antworte ich also.
Schwester Evelyn tippt auf den Plan. »Dr. Waldorf, OP 2, 12.00 Uhr.«
Bis 12 Uhr sind es noch drei Stunden. Plötzlich kommt mir meine kurzzeitige Überforderungspanik grotesk vor. Es kann sein, dass du dir in einer Stunde nichts sehnlicher wünschst, als eine Bauchspiegelung durchzuführen. Allein. An drei Patienten parallel. Denn es kann sein, dass schon in einer Stunde eine andere OP notwendig ist, bei der du ein Baby auf die Welt holen musst, das kaum eine Chance hat.
Auf dem Flur laufe ich Jenny über den Weg, die mit einem Stapel Akten in die Sonografie unterwegs ist. Heute kann SIE also ihren Väter-Typen-Katalog füllen.
»Wie läuft’s?«, fragt sie. »Du siehst so geschafft aus!«
Wenn man cool wäre, würde man antworten: »Hach, stressig, ich muss nachher eine Bauchspiegelung erledigen und möglicherweise direkt vorher noch zu einem Not-Kaiserschnitt.«
Ich bin nicht so. Ich hole tief Luft und frage: »Wie würdest du dich auf einen Kaiserschnitt vorbereiten, bei dem das Kind es vielleicht nicht schafft?«
Es fällt mir schwer genug, das auszusprechen.
Jenny sieht mich ruhig an. »Indem ich an das ›Vielleicht nicht‹ nicht denke.«
Sie umarmt mich schnell. »Ihr schafft das!« Dann eilt sie mit ihrem Aktenstapel davon. Und ich frage mich, ob Jenny auf dem Weg zu unserem Arzt-Ideal-Ziel vielleicht schon eine Lakritzschneckenlänge weiter ist als ich.
Dr. Seidler wirkt angespannt, als wir bei Frau Heinze das Kontroll-CTG anlegen. Bitte, bitte, denke ich so intensiv ich kann. Die Stationsärztin zieht den Millimeterpapier-Streifen zu sich heran. Bitte nicht! Sie mustert die Linien. Anfang der 32. Woche! Das Kind ist noch kleiner als Pünktchen! Dr. Seidler atmet tief durch und ich merke, wie sich meine Schultern verkrampfen. Endlich sehe ich doch auf das Papier, im selben Moment wird mir klar, dass die Stationsärztin lächelt.
»140, 139, 141«, sagt sie, »142, 144, 140.« Normale Werte.
Es kann viele Gründe dafür geben, warum der Herzschlag des Babys so gerast ist. Stress, falsche Ernährung, eine kurzzeitige Verwicklung in die Nabelschnur. Feststeht: Jetzt hat er sich beruhigt.
Stella Heinze legt die Hände auf ihren Bauch. »Was mache ich, wenn es wieder losgeht?«
Dr. Seidler erklärt, dass die Patientin noch ein wenig hierbleibt; wenigstens eine Kontrollmessung werden wir heute noch machen, morgen eine weitere.
»Vielleicht wollte er Ihnen nur schon mal mitteilen, dass er gern
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