Miss Emergency
Labortür.
Draußen zündet er sich eine Zigarette an und mustert mich abschätzig. »Sag nicht, du weißt von nichts!«, schnaubt er. Ich WEISS nichts! Felix lacht zynisch. »Willst du mir echt erzählen, dass ihr nicht alle Bescheid wusstet? Ich wette, ihr habt großartigen Spaß gehabt. Der Idiot vom Dienst! Kommt immer wieder brav angefahren und lässt sich jeden zweiten Tag erzählen, dass sie arbeitet!« Alles klar. Er weiß es.
Ich sage nichts, er würde mir sowieso nicht glauben. Doch einmal in Fahrt, redet Felix sich den ganzen Frust von der Seele, es ist, als ob er stellvertretend mich zur Rechenschaft zieht. »Warum ist sie denn dann so bescheuert, mich einzuladen?«, tobt er. »Hat sie es nicht mehr koordiniert gekriegt? Oder war es ihr scheißegal?«
Ich kann mir allmählich zusammenreimen, dass Jenny Felix zu Weihnachten zu sich eingeladen hat, er aber, als er ankam, seinem Rivalen über den Weg gelaufen ist. Ich verstehe nicht, wie Jenny so leichtsinnig sein konnte. Nein, ich habe auch kein Verständnis für ihre zweigleisige Affäre. Aber bisher schien sie immerhin gut organisiert. WOLLTE sie, dass die Sache auffliegt? »Das ist die Hölle«, sagt Felix und schleudert seine Zigarettenkippe ins Treppenhaus. »Da verliebt man sich einmal. Denkt, man hat die perfekte Frau gefunden. Und wird so brutal verarscht.«
Nun ist immerhin klar, warum Jenny sich heute geradezu gesträubthat, zur Arbeit zu gehen. Ich finde sie kurz vor der Mittagspause, sie sitzt im Treppenhaus.
»Was machst du hier?«, frage ich.
Jenny zuckt die Achseln. »Ich warte, dass der Tag vergeht. Und dasselbe tue ich dann morgen und übermorgen, bis ich diese verdammte Klinik verlassen kann.«
»Wie konnte das passieren?«, frage ich und höre mich schon wieder an, als wäre die Doppelaffären-Praxis an sich kein so großes Problem wie ihr Auffliegen.
Jenny seufzt abgrundtief. »Ich weiß nicht. Es war Weihnachten …«
»Na, Felix bist du jedenfalls los«, sage ich leise. »Und weiß Björn auch Bescheid?«
»Wen interessiert denn Björn«, antwortet Jenny. Und da wird es mir klar. Jenny ist verliebt. In Felix. Nur in Felix. Den sie enttäuscht und verraten hat und der sie nie wieder sehen will …
Jenny schaut mich traurig an. »Ich weiß, ich denke dauernd, ich bin verliebt. Besonders, wenn ich jemanden nicht haben kann. Aber diesmal ist es was anderes, glaub mir.« Ja, ich glaube ihr. Wer kann sie dort sitzen sehen und ihr nicht glauben, dass sie zum ersten Mal im Leben verliebt ist?! Und dass es eine Katastrophe ist?
»Fängst du das neue Jahr schon wieder so an?«, fragt Ruben strafend – dabei sind von der Mittagspause noch zehn Minuten übrig, als ich hinuntergestürmt komme.
»Bitte, Ruben«, flehe ich ihn an, »ich brauche Unterstützung und was gegen Liebeskummer.«
»Und du willst dringend von Weihnachten im Zirkus hören, oder?«, lacht er. Ja, das würde ich gern. Nichts lieber als das. Aber oben sitzt meine schwer-herzverletzte, erstmalig-liebeskranke Freundin Jenny, ich muss in zehn Minuten wieder auf der Station sein und Tobias habe ich auch noch nicht gesehen. Ruben seufzt. »Weißt du, was man beim Zirkus sagen würde? Wer viele Kamele dressieren muss, sollte seinen Hund nicht hungern lassen.« Ich glaube nicht, dass diese Weisheit schon jemals in irgendeinem Zirkus zu hören war, aber was er meint, ist deutlich.
»Du kriegst einen riesigen Knochen«, versichere ich ihm eilig.
»Keine leeren Versprechen«, lacht er und stellt mir endlich doch ein Tablett für Jenny zusammen. Himbeer-Tee, eingelegte Tomaten und Ingwerkekse. »Sieh zu, dass sie das zusammen isst«, sagt er ernsthaft. »Am besten, sie legt die Tomaten AUF die Kekse.« Dass ich das nun wirklich für Schikane halte, erwähne ich nicht, um ihn nicht noch mal zu kränken. Dass Jenny bis auf einen Keks alles verächtlich stehen lässt, war irgendwie auch klar, werde ich Ruben aber ebenfalls nicht erzählen.
Ich sehe Tobias tatsächlich erst am Abend. Doch sobald ich ihm gegenüberstehe, ist alles wieder da. Das warme Gefühl, das Herzklopfen, die unnormale Aufregung. »Du hast mir gefehlt«, sage ich, einfach so. Und er hält mich fest und sagt: »Ich konnte nicht eine Nacht schlafen ohne dich.«
Ich bin glücklich. Mein Alltagsleben ist ganz weit weg. Darf man das – einfach alles ausblenden? Das Drama zwischen Jenny und Felix … Frau Jahn, die vielleicht nie wieder ganz gesund wird … Ich müsste bedrückt sein, mitfühlend. Und
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