Miss Emergency
Jenny. »Er lernt seit Wochen! Warum war denn so viel Ermutigung und Aufmunterung notwendig?«
Isa sieht zerknirscht aus. »Weil ICH so viel Angst habe«, gibt sie zu. »Das ist die wichtigste und schwierigste Prüfung seines Lebens!«
Jenny grinst. »Ich hoffe, du hast ihm das oft genug gesagt, damit er jetzt richtig schön Herzflattern hat!« Daraufhin springt Isa natürlich auf und greift ein drittes Mal zum Telefon, um Tom zu versichern, dass er es selbstverständlich großartig meistern wird.
»Diese beiden machen sich vollkommen verrückt«, sagt Jenny mit hochgezogenen Augenbrauen, sobald wir allein sind. Aber ich finde Isa und Tom einfach hinreißend; seit sie auf komplizierten Umwegen zueinandergefunden haben, sind sie unzertrennlich und nur damit beschäftigt, für den anderen der Lebensmittelpunkt zu sein. Ich, momentan liebesmäßig angeschlagen, bin aber vielleicht kein Maßstab; mir erscheint ihr bedingungsloses Umeinanderkreisen natürlich weitaus erstrebenswerter als derfreiheitsliebenden Jenny. »Ich schwör’s: Bei mir war er nicht so. Aber ich hatte die ganze Zeit schon das Gefühl, dass er die Anlage zu Partner-Jogginganzügen hat.« Diese winzige Gemeinheit kann sich Jenny nicht verkneifen. Offiziell ist zwar längst vergessen, dass Tom ihr abgelegter Ex ist – aber manchmal kann sie dem dringenden Bedürfnis nicht widerstehen, ihre eigene Art, Beziehungen zu führen, deutlich von Isas abzugrenzen. Doch »Partner-Jogginganzüge« ist eine fiese Übertreibung, ich kommentiere sie mit meinem strafendsten Blick. Jenny grinst und entschuldigt sich, indem sie Isa gleich darauf vorschlägt, heute Abend eine kleine Feier für Tom zu geben. Isa ist überrascht und erklärt zögerlich, sie wollte eigentlich Essen gehen oder bei Tom …
»Quatsch!« Jenny winkt ab. »Wir machen das Essen hier! Und wenn du die ganze Woche spülst, koche ich mein legendäres indisches Vindaloo.« Das ist ein Angebot, das man nicht ausschlagen sollte, selbst wenn es einen Monat Abwaschen kostet. Jenny kocht fantastisch – wenn sie denn Lust hat. Isa ist kurz unentschlossen, ob sie die großzügige Geste annehmen soll; klar hat sie immer noch Hemmungen, ihren Geliebten allzu oft mit seiner schönen, sprühenden Exfreundin zusammenzubringen. Aber Jenny strahlt begeistert und wer sie kennt, kann sich denken, dass es ihr jetzt schon nicht mehr darum geht, Tom eine Freude zu machen: Jenny liebt einfach Partys und ergreift jede Gelegenheit. Wahrscheinlich hat sie im Kopf schon die Deko fertig und die Liste, welche ihrer verrückten Freunde sie einladen wird.
»Aber nur wir, ja? Höchstens 2, 3 andere Leute, es soll schon noch um Tom gehen …« Aha. Isa kennt Jenny auch gut genug.
Jenny lacht. »Aber für Lena und mich darf ich ja wohl ein paar gut aussehende Herren dazu laden. Ich verspreche auch, dass sie keine Diplome haben!« Hm. Das bringt mein Gedankenkarussell natürlich gleich wieder auf Dr. Thalheim. Erstens darauf, dass ich ihn dann nicht einladen könnte, weil er mindestens einen Doktortitel hat, zweitens, dass ich ihn sowieso nicht einladen könnte, weil niemand weniger an unserer WG-Tafel vorstellbar ist, als einwortkarger, auf Professionalität bedachter, 10 Jahre älterer Oberarzt … und drittens darauf, dass ich ihn vielleicht schon in einer Stunde wiedersehe. Ich schnappe meine Tasche. »Mädels, wir müssen los!«
Der Vormittag vergeht schnell in dem angenehmen Gefühl, bei den alltäglichen Stationsaufgaben bereits Profi zu sein. Wir bekommen Patientenzimmer und die typischen Wagen zugeteilt und drehen unsere Runden auf den zugewiesenen Flurabschnitten. Ich lege Infusionen und nehme Blut ab – und es ist einfach toll, sich endlich nicht mehr nur darauf zu konzentrieren, ob man alles richtig macht. Ich fühle mich inzwischen so versiert, dass ich mich auf meiner Runde tatsächlich mit den Patienten unterhalten kann. Klar, im letzten Tertial habe ich auch mit ihnen gesprochen, aber mehr, um sie abzulenken, damit ich mich auf die Punktionen konzentrieren konnte. Heute kann ich an der Unterhaltung teilnehmen und weiß hinterher noch, was gesagt wurde, während die Punktionen wie von selbst laufen. Ja, es ist albern, auf so etwas stolz zu sein. Ich bin es trotzdem. Wer nicht mehr über Punktionen nachdenken muss, ist auf jeden Fall keine Anfängerin mehr und kann den frei gewordenen Hirnraum nun für komplizierte Operationen nutzen. Hoffentlich teilt mich die strenge Dr. Thiersch auch bald ein. Ich
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