Miss Emergency
Benedikt. Isa vermutet, dass unglückliche Liebe (zu mir natürlich!) ihn dazu treibt, seine Prinzipien fallen zu lassen und er extrem unter diesem unprofessionellen Gefühlsausbruch leidet. Nichts wäre mir lieber und ich würde alle Geheimniskrämerei gerne in Kauf nehmen, wenn ich ihn nur morgen wieder heimlich irgendwo küssen könnte. Isa bestärkt mich in meiner Sorge, dass es dazu nicht kommen und Dr. Thalheim von nun an eisern Distanz zu mir halten könnte. »Er wird dir professionell aus dem Weg gehen. Wahrscheinlich hast du ihn heute zum letzten Mal unter vier Augen gesehen.« Ja, Isa war schon immer die mit dem gesündesten Menschenverstand und den wenigsten Illusionen.
»Wieso?«, fragt Jenny. »Wenn er doch verliebt ist?! Und selbst wenn nicht: Solange es geheim bleibt, kann er ja beides haben!«Es klingt nicht ganz so angenehm wie in meiner eigenen Affären-Befürwortungs-Argumentation, aber immerhin! Jenny gießt mir Sekt nach und legt den Arm um meine Schulter. »Du schaffst das schon. Mach dich ein bisschen unentbehrlich und ihn noch ein bisschen verliebter, dann kriegst du ihn garantiert!« Schön gesagt – und leicht für die erfolgsverwöhnte, stets männerumflatterte Jenny. Aber wie soll ICH das machen? Jenny zuckt die Schultern: »Sei einfach bezaubernd und schrecklich attraktiv, dann wird er die Profi-Distanz nicht länger als drei Tage durchhalten!« Gut. Ich bin die Letzte, die den wirren Rat »Sei einfach schrecklich attraktiv« in Handlung umsetzen kann, aber ich werde tun, was immer mir möglich ist. Immerhin wird Jenny mir zur Seite stehen.
»Wäre das nicht romantisch«, lächelt Isa in sich hinein. »Erst ein halbes Jahr heimliche Liebe mit Maskerade und Selbstvorwürfen – und dann eine große Offenbarung vor allen und er macht dir auf dem Krankenhausdach einen Heiratsantrag …«
»Du kriegst keinen Sekt mehr!«, entscheidet Jenny barsch. Ich selbst träume auch nicht von überspannten Heiratsanträgen, das ist vom trocken-sachlichen Oberarzt nun wirklich nicht vorstellbar. Für meinen Geschmack kam da jetzt auch zu viel Heulen und Zähneklappern drin vor. Aber im Großen und Ganzen würde ich Isas Variante sofort zusagen. Wir einigen uns also darauf, dass ich Tobias Thalheim auf mich zukommen lasse, als interessiere es mich nicht sonderlich – oder als könne ich, wenigstens solange andere Leute in der Nähe sind, ausgezeichnet so tun, als sei ich nicht interessiert. Gleichzeitig werde ich absolut liebenswert und bezaubernd sein … und ihm Gelegenheit geben, mich allein zu treffen. Theoretisch klingt das wie ein perfekter Plan. Irgendwo muss noch die souveräne Frau herkommen, die ihn umsetzt. Heute Abend, hier in dieser Küche, ist sie nicht – ich hoffe, sie taucht morgen spätestens an der S-Bahn-Station auf.
»Tu mir nur einen Gefallen, Lena«, sagt Jenny, als sie die Gläser vom Tisch räumt. »Häng dich nicht ganz so rein … Der wird nie locker mit dir Eis essen gehen. Das weißt du, oder?«
Ja, das weiß ich. Für einen kurzen Moment herrscht Schweigen wie eine kleine dunkle Wolke. Ich weiß, es wird schrecklich kompliziert. Aber es hilft nichts. Ich will es trotzdem. Isa lächelt mich an, etwas Aufmunternderes fällt ihr wohl nicht ein?, dann geht sie. Hach, ja, sie hat schon drei Stunden nicht bei ihrem Freund Tom angerufen! Jenny stellt die Gläser neben die Spüle und grinst mich an. »Hättest du nicht letztes Tertial was mit ihm haben können, als er uns so viel Ärger gemacht und sich so streng und grantig gegeben hat?!« (An so was erinnere ich mich gar nicht!)
Ich lächle zurück. »Hatte ich doch. Wir sind seit einem Jahr heimlich verlobt. Ich hatte ihn nur gebeten, extra streng zu dir zu sein, weil du hier nie den Abwasch machst …« Jenny wirft mir eine Kusshand zu und dann – das ist noch nie dagewesen! – dreht sie das Heißwasser auf und übernimmt tatsächlich den Abwasch aller drei Sektgläser!
Und ich gehe ins Bett. Nur noch 420 Minuten bis »morgen«.
A m Dienstagmorgen hängt Isa schon am Telefon, als ich aufstehe. Sie sagt so oft »Ich denke an dich«, »Keine Angst« und »Du wirst es schaffen«, dass ich bald überzeugt bin, etwas Schreckliches muss geschehen sein. Doch als ich beim Frühstück mitleidsvoll nachfrage, lächelt Isa stolz. »Nichts ist passiert. Aber Tom hat heute seine letzte Prüfung, seine Verteidigung. Ihr könntet auch mal ein bisschen Daumen drücken!«
»Tom hat doch sicher keine Angst«, wundert sich
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