Miss Emergency
angespannt.«
»Nein«, antworte ich, so viel werde ich ja wohl preisgeben dürfen, »eigentlich ist alles gut. Nur die Geheimhaltung ist nicht so meins.«
Ruben lacht. »Du könntest dich ja bei mir ein bisschen aussprechen.« Sein Grinsen wirkt hintersinnig. Ich schüttle den Kopf. »Na gut.« Ruben greift nach meiner Kaffeetasse. »Das war ja nur mein Versuch, zu deiner Seelenerleichterung beizutragen. Ich weiß doch sowieso alles. In der Klinik schleicht ihr umeinander herum, als könntet ihr kein Wässerchen trüben – und jeden Abend tut er so, als ergäbe sich ganz zufällig eine Gelegenheit, dich nach Hause zu bringen.«
Ich erkläre erwachsen, dass die abendlichen Heimfahrten abgesprochen sind und einfach unser Kompromiss, gemeinsame Zeit zu haben, ohne uns im Krankenhaus offenbaren zu müssen. Und woher weiß er das überhaupt? Er zuckt die Schultern.»Vielleicht habe ich den Müll rausgebracht und euch gesehen. Oder ich habe Zugang zur Parkplatz-Überwachungskamera, wer weiß?«
Ist es so auffällig? Sollen wir uns jetzt auch noch die gemeinsame Autofahrt versagen? Ruben sieht mich nachdenklich an. »Liebe Lena, was meinst du, was passiert, wenn das rauskommt?« Ich weiß. Meine Karriere.
Ruben lächelt. »Du hast ein Spiderman-Problem, mein Schatz. Wenn du dich für die Liebe entscheidest, musst du vielleicht deine Aufgabe opfern … Ich wollte nur sichergehen, dass dir das ganz klar ist.«
Verdammt, Ruben, warum ist DIR immer alles so klar?!
Er nimmt einen Schluck von meinem Kaffee – und spuckt ihn in die Tasse zurück.
»Der ist kalt, Lena«, sagt er empört. »Ich dulde es nicht, dass jemand hier vor eiskaltem Kaffee sitzt.« Er nimmt mir die Tasse weg. »Du siehst ihn ja heute Abend. Falls du ihm nicht sagst, dass eure ›zufälligen‹ Parkplatztreffen nur noch auffälliger sein könnten, wenn er dabei durch eine zerschnittene Zeitung starrt. Denn ich fürchte, wenn er das wüsste, würde der korrekte Oberarzt euch wohl auch diese Geheimtreffen versagen. Und wahrscheinlich nicht zu Unrecht …«
Ich stehe auf und verlasse die Cafeteria – ein klein wenig angekratzt. Es tut nicht gut, zu hören, dass meine zarte Liebe so chancenlos sein soll.
Oben auf der Chirurgie herrscht Eile. Jemand fährt eine Trage herein, ein Mann liegt darauf, ich sehe ihn nur ganz kurz. Ein Arzt aus der Notaufnahme hastet an mir vorbei. »Mehrere Frakturen, Verletzungen im Brust- und Bauchbereich, Blutung im Bauchraum«, sagt er zu Dr. Thiersch.
»Team ist bereit«, entgegnet sie knapp, beide verschwinden im OP-Bereich.
»Not-OP«, sagt Schwester Jana, »Verkehrsunfall.« Dann eilt auch sie davon. Ich stehe wie erstarrt am Stationseingang. Meine eigenen Probleme wirken profan, so weit weg, so falsch.
Die Nachmittagsrunde ist anstrengend und ihr einziger Höhepunkt besteht darin, dass ich Frau Schneider endlich den ersehnten Kaffee bringen kann – und das nicht mal mit gutem Gefühl, weil in meinem Kopf die sonore Chefarztstimme sagt, dass ich nicht zum Kaffeebringen hier bin. Frau Schneiders Freude kann das nicht ganz aufwiegen. Außerdem bekomme ich das Unfallopfer nicht aus dem Kopf. Ich weiß, so etwas ist nichts Besonderes. Ein Drittel der Operationen sind Not-OPs. Die Chirurgen wissen, was sie tun. Trotzdem. Wie wird es sein, wenn du diejenige bist, die zu einem schwer verletzten Unfallopfer gerufen wird? Wirst du bis dahin so gelassen sein, wie es nötig ist? Im PJ wird das noch nicht vorkommen, bei Not-OPs werden wir nicht eingeteilt. Aber wenn ich mich für die Chirurgie entscheide, wird das auch mein tägliches Geschäft sein. Bis dahin muss ich die Angst aus meinem Kopf kriegen.
Kurz vor Dienstschluss besuche ich noch einmal Frau Jahn. Sie wirkt schwach und noch sehr müde.
»Sind Sie am Wochenende auch hier?«, fragt sie und ich muss verneinen. Sie deutet auf meine Kitteltasche. »Haben Sie mich verraten?« Ich schüttle den Kopf. Aber was mache ich jetzt mit ihrer Büroausstattung? Ich kann ihr doch nicht das ganze Wochenende ihr Eigentum entziehen! Schließlich öffne ich den Schrank neben der Tür und lege Telefon und Notizbuch hinein.
»Versprechen Sie mir, dass Sie es nicht benutzen?«, frage ich und sehe ihr direkt in die Augen. Sie nickt, wenn auch nicht ganz überzeugt. »Ich werde Schwester Jana sagen, dass Sie sich ausruhen müssen und gegebenenfalls noch mal ein Schlafmittel bekommen«, erkläre ich ehrlich. »Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie den Kopf nicht ausschalten
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