Miss Emergency
bisschen weniger attraktiv sein, Frau Weissenbach? Den Hässlichen verzeiht unsere Chefin viel schneller.«
Ich weiß nicht, ob ich geschmeichelt oder gekränkt sein soll. Erstens gibt es auf dieser Station weit hübschere PJlerinnen, die bereits wenigstens einmal eingeteilt wurden, zweitens kann und möchte ich nicht glauben, dass die Klinikregeln wirklich von so blöden, profanen Eitelkeiten beeinflusst werden sollen und drittens ist es mehr als unangenehm, so zweifelhaften Komplimenten ausgesetzt zu sein.
»Jenny ist viel hübscher«, sage ich schließlich.
Na toll. Das ist die albernst-vorstellbare Entgegnung, denn nun klingt es, als hätte ich nicht nur Selbstzweifel und akzeptiere im Grunde die seltsame Attraktiv-wird-benachteiligt-Einstellung, sondern neide auch noch meiner Freundin den Erfolg. (Geh ins Bett, Lena! Das hier heute hast du eindeutig versaut.) Ich bringe wenigstens noch die Würde auf, dem lächelnden Sonnyboy zu erklären, dass ich die Verzeihung und Anerkennung der Oberärztin durch Einsatz und innere Werte zurückzuerobern trachte, dann eile ich wieder an meine Stationsaufgaben. Was für ein seltsames Gespräch!
Ich besuche Frau Jahn, injiziere ihr die postoperative Thromboseprophylaxe und gebe ein entzündungshemmendes Schmerzmittel. Am operierten Bein ist eine Schiene angebracht, die die Bewegung im Kniegelenk einschränkt, um den frisch genähten Meniskus zu entlasten. Während der OP wurde Frau Jahn eine Drainage ins Knie gelegt, die nun entfernt werden muss. Mit Fadenmesser und neuem Verbandmaterial bewaffnet, ziehe ich den dünnen Schlauch aus ihrem Knie. Sie beäugt mich misstrauisch. (Keine Angst, in allem, was NICHTS MIT OPERIEREN zu tun hat, bin ich erstklassig. Ich könnte dir nebenbei mit den Füßen Kaffee einschenken. Ich tue es nur nicht, weil solche Qualitäten hier nicht gefragt sind.) Frau Jahns Blick wandert zum Nachttisch. Irre ich mich, oder hat sie schon wieder in ihrem Büchlein gerechnet, als ich hereinkam?! Das kann doch nicht wahr sein.Einen Tag nach der OP! Die penetranten Büro-Anrufe gestern scheinen darauf hinzudeuten, dass sie, ebenso wie ich, einen unnachgiebigen Vorgesetzten hat. Setzt er sie unter Druck? Frau Jahn wirkt gehetzt. Denkbar schlechte Voraussetzungen für eine komplikationslose Wundheilung! Mein Brummschädel war so anständig, sich nach dem schlechten Arbeitsstart etwas zurückzuziehen; und da ich mich wieder zu einem konzentrierten Gespräch in der Lage fühle, ergreife ich die Gelegenheit, mit Frau Jahn über den Inhalt ihres Nachtkästchens zu sprechen.
»Die Wundheilung ist erst nach zwei bis vier Wochen abgeschlossen. Aber wenn die postoperative Schwellung abgeheilt und der Physiotherapeut mit Ihnen zufrieden ist, werden Sie schon entlassen«, beginne ich über einen Umweg. »Was haben Sie dann vor?«
Frau Jahn sieht mich irritiert an. »Arbeiten«, sagt sie stirnrunzelnd. »Was denn sonst?«
Das dachte ich mir. »Sie sind aber noch nicht wieder alltagstauglich«, mahne ich. »An Arbeit ist noch lange nicht zu denken …«
Sie bleibt kühl. »Ich arbeite, wann ich es für nötig halte. Immerhin hatte ich nur einen Meniskusschaden.«
Ich tippe wie beiläufig an ihren Nachttisch. »HIER arbeiten Sie aber nicht, oder? Das ist absolut verboten.«
Frau Jahn wirft einen hektischen Blick zu ihrer Schublade, schüttelt dann aber ganz unschuldig den Kopf. »Natürlich nicht.«
Ich weiß nicht, was die Zahlenkolonnen in ihrem Buch bedeuten, aber dass sie unmäßig gestresst ist, steht fest. »Die Ausheilung dauert bis zu vier Monate. Die Schiene tragen Sie mindestens noch 10 Wochen. So lange müssen Sie Ihr Knie entlasten und dürfen es nicht voll beugen. Außerdem bekommen Sie Unterarmgehstützen«, sage ich. »Die Muskeln müssen sich erst wieder kräftigen. Und so lange haben Sie auf jeden Fall noch Schonzeit.«
Frau Jahn schüttelt pikiert den Kopf. »Ich arbeite im Sitzen, das wird ja wohl gehen!« Ja, das habe ich gemerkt, liebe Frau. Du arbeitest sogar, wenn du im Krankenbett sitzt.
»Die Dauer der Krankschreibung richtet sich nach Ihrem Beruf«, erkläre ich. »Was machen Sie denn?«
Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Ich habe eine Investmentfirma. Davon verstehen Sie sicher nichts.« Ach, arrogant kann ich auch. Und das, wovon ICH etwas verstehe, ist ja wohl im Moment wichtiger, oder?
»Wir werden Sie drei bis vier Wochen krankschreiben«, sage ich, als hätte ich die Beleidigung gar nicht wahrgenommen. »Aber die Beinschiene
Weitere Kostenlose Bücher